Diagonale 2006 in Graz
www.diagonale.at
Dr. Norbert Fink berichtet
Kurzfassung (wie in kultur-online-net)
Bericht von Diagonale Graz, 24 .- 26.3.2006
Dr. Norbert Fink berichtet von den letzten drei Tagen des österreichischen Filmfestivals.
Spielfilme | Dokumentarfilme | Kurzfilme / Experimental |
Kotsch | Neue Welt | Chronomops von Tina Frank |
Küss mich, Prinzessin | Babooska | int.16/45//son01/30x1 von lia |
Ragin | Tintenfischalarm | Eine Million Kredit ist normal, sagt mein Großvater von Gabriele Mathes |
Aus der Zeit | ||
Grbavica | Bunica | |
Unser täglich Brot | ||
Exile Family Movie | ||
Umfeld:
Ärger hörte ich, weil der Berlinale Sieger Grbavica (meine Kritik dazu
hier) statt in OmU in deutsch gezeigt wurde, und das nur weil die Schachteln
verwechselt und die Filmrollen nicht nachkontrolliert wurden. Auch solche Pannen
gibt’s.
Und das UCI Annenhof Kino reservierte 2 Säle für die Diagonale, man musste nicht mehr weit bis in Royal fahren wie das letzte Jahr. Auch schön.
Es hieß ja, dieses Jahr sei das Jahr des Dokumentarfilms in Österreich, nach Erfolgen bei Festivals aber auch an der Kinokasse (Darwins Nightmare, we feed the world etc…) soll es weitere Filme der neuen Doc-Generation, manche sogar auf echtem Film geben! Ich war also gespannt – und wurde bezüglich Docs nicht enttäuscht. Leider waren noch einige aufgeblasene Videos, die von der Auflösung her auf einer großen Leinwand schmerzen, dennoch manche HD und Beta SP Produktion ist schon fast so gut wie Super16… und auch im 35mm Transfer brauchbar bzw. in der Digitalprojektion zumindest „gut“, wenn auch noch nicht ganz so knackig scharf wie echtes 35mm. Oftmals ist der digitale 5.1-Ton besser als das Bild.
Auch der Beitrag "Der Kommunist" über den Grazer
Stadtrat Kaltenegger von der KPÖ konnte nicht gezeigt werden, weil angeblich der
Film nicht fertig wurde. Er hätte einen der letzten „Heiligen“ in der Politik
zeigen sollen, der mit Geld aus der eigenen Tasche hilft, während andere
Politiker mit dem Geld der Armen ihre eigenen Taschen füllen !
Leider ist es ein großer Stress zu den Karten zu kommen, die telefonische
Reservierung klappt zwar tadellos, doch muss man diese vorbestellen Karten
zwischen 60 und 30 Min. vor dem Film abholen.
Was machen, wenn der Film zuvor erst 20 Min vor der nächsten Aufführung endet ?
Das System löscht deine Bestellung gnadenlos, und 2 Stunden vorher kann es die
Dame am Schalter dir noch gar nicht geben…
Vorschlag: Karten selber ausdrucken per Internet, aber rekonfirmieren (3h – 15
min vorher, oder in Zählautomat abstempeln), damit die Karten die gelöst wurden,
aber nicht benutzt werden, von anderen übernommen werden können.
Noch ein Tipp: Machts doch ehrliche Qualitätsangaben über Auflösungsqualität der Filme:
SQ, SQ+/DVD, HD, full HD 2K, 4K, 16/35; 35/35, 70 mm
Im allgemeinen gute Tonqualität, aber schlechte Bildqualität (interpolierte Videos)
NEUE WELT
Paul Rosdy, A 2006, 100 Min, 35mm
echter Film (von Super 16), DD
Das große Österreich-Ungarn vor dem ersten Weltkrieg – was ist heute aus den
Kronkolonien geworden?
Originalzitate aus Zeitungen von 1900-1914 und alte Filmarchivbilder und
Postkarten versus der heutigen Situation, was ist davon geblieben in Triest, dem
Seehafen der Monarchie, Bosnien, Herzegowina, der Bukowina, Ungarn, Siebenbürgen
(Rumänien), der Ukraine, und Dalmatien? Es beginnt in Mostar und endet in
Czernowitz, der ehem. österr. Provinzhauptstadt in der Ukraine.
Sorgsam recherchiert, ein guter Stereo-Ton, aber trotzdem manchmal etwas
ermüdend (bzw. nicht wach haltend), auch der Eisenbahn-Fan wird befriedigt, mit
der berühmten Holzfällerbahn in Rumänien. Eine große Rolle spielt dabei auch die
Musik – sei es der Gesang des Muezzin vom Minarett, seien es die rumänischen
Blasmusiker oder die Erinnerung an die Schlager der 30er Jahre („wenn du jung
bist gehört dir die Welt“ von Joseph Schmidt) in der Ukraine, welche zu den
kleinen Freuden des einfachen Volkes gehören..
*** herausragende Landschaftsbilder und viele
kleine Geschichten aus den ehem. K.u.k. Ostprovinzen zeigen, was noch von damals
übrig geblieben ist und welches Erbe hinterlassen wurde. Road Movie in die k.u.k.
Geschichte und wieder zurück in die Gegenwart.
Babooska
Tizza Covi, Rainer Frimmel; A/I 2005, 100 Min, 35mm
echter Film, Ton aber mono oder nur SR
Das Leben einer 20 jg Frau Namens Babooska, die mit dem Familien - Circus
Girardi durch Norditalien tingelt, ihre kleine Schwester, die 28 Schulen pro
Jahr besuchte, ihr Hund, ihr Wohnwagen.
Erst nach 30 Min sehen wir das erste Mal das Circuszelt und erst am Schluss ihre
große Hullahopp Nummer.
Es ist manchmal schwer fröhlich zu bleiben, wenn man sich den ganzen Tag
abgerackert hat aber nur 10 Besucher kommen. (Eine Situation, die wir
ehrenamtlichen Arbeiter des FKC auch kennen…)
Man sieht wenig übers Training, Programmmachen, den mühsamen Aufbau des Zeltes,
umso mehr über das Leben im Wagen und in den Gastgemeinden.
Keine Kommentare, keine Interviews und kein Musikteppich dahinter lassen das
Gesehene für sich sprechen und tragen erheblich zur Qualität des Films bei.
***1/2 Manchmal etwas banal, aber im großen und
ganzen ein sehr netter Film mit sympathischen Menschen, schön fotografiert auf
echtem Fujicolor und ohne störende Kommentare.
Digital-video, DD 5.1, Regie: Helmut Köpping, A 2006.
Die Geschichte von 4 Männern und 3 Frauen (ständiger Kampf vorprogrammiert,
einer muss verlieren) aus Fohnsdorf im Jahre 1999 (wo einst die größte
Kohlenzeche Österreichs war) überzeugte nicht, Handlung und Botschaft sind nur
schwer zu erkennen, einzig die Mileauschilderung des Lebens in einer trostlosen
Kleinstadt, wo der Stammtisch der Lebensmittelpunkt darstellt, und die neue
Wirtschaftsmethoden dem sicheren Arbeitsplatz im Bergbau folgten, vermag
passagenweise zu überzeugen. Erzählt wird aus der Perspektive des Alf, der in
der Anfangsszene gegen eine Ortstafel fährt (und dann ?).Ähnlich
inkonsequent ist auch das Auftauchen einer Fee, schon peinlich manche
Pinkelszene. Positiv ist allerdings der 5.1.- Raumton zu vermerken, dessen
Effekte voll ausgenutzt wurden.
# es fängt zwar viel versprechend an, doch wird
das Video immer geschwätziger und langweiliger. Im Bild ungenügend scharf zur
Projektion auf Großleinwände. Nicht überzeugend.
Küss mich, Prinzessin
Michael Grimm, A 2005, 78 min, unscharfes Video auf 35mm übertragen,
DD
Die Gangster-Liebesgeschichte spielt zum Zeitpunkt des Todes von Lady Di im
Sommer 1997 und viele Frauen, welche die bunten Blätter gerne lesen, heulten
sich dabei die Augen wund. Susi, hübsch, naiv und 27 Jahre jung, mit Tochter,
ist mit einem fleißigen, aber etwas faden Versicherungsvertreter zusammen, sie
träumt von einem Prinzen, jedenfalls einem aufregenden Typen. Als kleinen Kick,
prellt sie ab und zu die Zeche und klaut in einem Cafe Zeitungen.
Horst möchte auch von der schiefen Bahn herunter kommen. Nach einem
Sportwettenbetrug, wo er sich exakt in der 4. Runde KO schlagen lassen musste,
ist er aus der Haft entlassen worden, sein Boss bietet ihm einen „letzten“ Coup
an, den Transfer eines Diamanten nach London. Er stolpert (im wahrsten Sinne des
Wortes) über Susi und verliebt sich in sie. Susi hat inzwischen, wie
entwürdigend, in einer Reinigungsanstalt zu bügeln begonnen und will sich von
ihrem Versicherungsvertreter trennen, nachdem er sie geschlagen hat, weil sie
ziemlich ausflippte. Doch muss es gleich ein Gangster sein ?
Der Versuch mit ihm nach London zu jetten geht schief, denn ihr Ex gibt einen
Bombendrohung gegen das Flugzeug ab und ihre Tochter verschluckt den wertvollen
Edelstein… nun wird’s turbulent…
Der an sich gut gespielte Film leidet an einer schlechten Kameraarbeit oder Postproduktion, zwar waren Untertitel und Nachspann scharf, nicht aber das dargestellt Bild, auch die Musik ist ideenlos und nervig. Für das unscharfe Bild müssen mindestens 2 Punkte abgezogen werden.
* Harmlose Familienkomödie um
eine junge Frau, die den biederen Versicherungsvertreter gegen einen Gangster
austauschen will, er spielt zum Zeitpunkt des Todes von Prinzessin Diana und
versucht die von der bunten Presse geweckten Träume auf die Schippe zu nehmen.
Absolut ärgerlich: die miese Bildqualität.
Elisabeth Scharang, 107 Min, A 2006, Videotransfer auf 35mm, Polyfilm / + Docuzone?
Es geht um die Intersexualität: eines von 2000 Kindern wird ohne eindeutiges Geschlecht geboren. Die Ärzte empfehlen den Eltern meist, ein Mädchen daraus zu machen, weil dies einfacher sei. Alex wird Penis und Hoden entfernt und eine Scheidenplastik hineinoperiert. Er wird mit 14 eine Frau, erkrankt an Krebs (weil er den Körper ablehnt), empfindet die Ärzte als Peiniger. Kontakte zu XY-Frauen Selbsthilfegruppen und Intersexuellen in San Francisco helfen. Später lässt er sich die Brüste wieder weg operieren, nimmt Testosteron, geht in Psychotherapie, wird wieder ein Mann; doch in Wahrheit ist Alex dazwischen.
Der Film nimmt Stellung gegen die eigentlich unnötige Operation an Kindern und den Zwang ein Geschlecht anzunehmen.
Äußerst informativ und sehr berührend wird Alex´ Geschichte
und seine Beziehung zu seinen Eltern, das Leid mit der Einsamkeit, die
Schwierigkeiten mit der Sexualität erzählt.
Zwar ist der Einsatz von Video (vor allem im Videotagebuch, das uns über Jahre
begleitet) verständlich, auch eine 16mm Kamera war im Spiel, die
unterschiedlichen Auflösungsqualitäten wirken leider störend und die
Kameraarbeit ist eher amateurhaft, dies gibt leider Punkteabzüge für den
inhaltlich aber hervorragenden Film !
***1/2 eindrückliche Dokumentation über
Intersexualität am Beispiel von Alex, der uneindeutig geboren wurde, zum Mädchen
umoperiert wurde und sich dann wieder zum Mann, so weit es ging, machen ließ.
Rein psychisch ist und bleibt er dazwischen, doch das gibt es von Gesetzes wegen
nicht !
RAGIN – Wahn oder
Wirklichkeit
nach Anton Tschechov
A/RUS 2004, echtes 35mm, 110 min, russ. OmeU
Der russische Arzt Dr. Ragin will auch in der desolat geführten psychiatrischen
Abteilung seines Provinzkrankenhauses, das eher an ein KZ erinnert, neue
Methoden aus Wien einführen und sich auf den Wahn seiner Patienten einlassen,
sie heilen. Demgegenüber will ein junger Arzt neue „Foltergeräte“ wie der
Hobotov´sche Rotationsstuhl einführen, und mit allen möglichen Schockmethoden
die Kranken wachrütteln.
Doch Ragin, der sich immer mehr in die Wahnwelt einlässt, wird plötzlich selber
zum Fall, wo Realität und Wahn sich verwischen.
Nach dem Roman „Krankenzimmer 6“ von Tschechov aus dem Jahre 1892 wird vor allem der geistige und gesellschaftliche Verfall Russlands karikiert.
* gestochen scharfe Bilder, aber etwas theatralisch-hysterische Darstellungen entlassen den Zuschauer eher ebenfalls in Verwirrung und tragen wenig zur Aufklärung über die Psychiatriegeschichte bei.
Harald Friedl, A 2006, Beta SP, mono
Der äußerst beeindruckende Dokumentarfilm zeigt über einen Zeitraum von 3 Jahren vier liebenswerte alte Geschäfte in Wien, die so gar nicht in die moderne Shopping- und Wegwerf“kultur“ passen. Es ist da das alte Lederwarengeschäft Jentsch, wo offenbar seit 1874 nicht mehr aufgeräumt wurde, doch die Chefin repariert noch jede so alte Tasche oder Lederjacke für ein paar Euro. Der 85 jährige Peppi führt noch immer eine Drogerie, füllt Parfums nach und verkauft Terpentin auch „tropfenweise“. Wenn zwei, drei Kunden ihm ein paar € Umsatz hinterlassen, meint er das Geschäft läuft eh. Eigentlich gar nicht so schlecht lief die Fleischhauerei Fritz in der Vorstadt, doch es findet sich kein Nachfolger, der das Geschäft übernehmen wollte. Und dann gab es noch die „Knopfkönigin“ Fee Frimmel, die ein wunderschönes Geschäft im noblen 1. Bezirk führte, doch mit dem Niedergang der Haute Coiture gab es immer weniger Kundschaft, erst als sie das goldene Verdienstkreuz der Stadt Wien erhielt, zeigt sie es jenen heim, die ihre Tätigkeit als Fall aus der Oberschicht Wiens betrachteten, ihr Gatte, der „Knopfkönig“ wurde ein Alzheimer-Pflegefall. Allen ist gemeinsam, dass sie ein persönliches Verhältnis zu ihren Kunden hatten und in günstigen, alten mietergeschützten Räumlichkeiten untergebracht waren. Bis auf den ersten gehen sie mit Wehmut in den wohlverdienten Ruhestand.
***1/2 liebevoller Doc über die letzten Geschäfte nach dem alten Stil in Wien.
Elke Groen, Ina Ivanceanu; A/L 2005, Beta SP, 80 Min, Omu
Bunica heisst Großmutter, die zum Zeitpunkt der Dreharbeiten 84 jg war die
Großmutter des Produzenten und einer der Regisseusen und lebt in Bukarest.
Die Oma Ana musste unter Ceaucescu ihre edle Herkunft verbergen und Arbeiterin
spielen, damit ihre Kinder studieren konnten, als Trolleybus-Kondukteurin
verdingte sie sich bis zur Pension. Im Doc kommentiert die resolute alte Dame
die Geschichte Rumäniens, den Fall des Conductators, aber auch die Wirrnisse
nach der Revolution: Korruption und Bankenskandale, die wachsende Unsicherheit
im Land. Ergänzt mit Dokumentaraufnahmen ist auch dieser Beitrag durchaus
sehenswert.
*** aus dem Blickwinkel der großbürgerlichen Großmutter Ana, 84 Jahre, wird die Geschichte und der gegenwärtige Zustand Rumäniens erklärt.
Unser täglich Brot
Nikolaus Geyrhalter, A 2006, 92 Min, 35mm (von HD), Dolby Digital 5.1
Formal äußerst radikal – kein Kommentar, kein Text, keine erklärenden Untertitel, keine Dialoge, keine Musik – nur das Bild und ein Originaler Mehrkanalton präsentiert sich dieser auch technisch herausragende Dokumentarfilm. In kunstvoll fotografierten Einstellungen wird die normale Arbeitswelt in hochmodernen Nahrungsmittelbetrieben gezeigt. Kein Skandal, keine Botschaft doch Vegetarier zu werden, aber auch keine Werbung für die immer größer werdenden Schlachthöfe, Geflügelfarmen, die künstliche Besamung, die modernen Glashauskulturen, oder auch ein riesiges Salzbergwerk unter Tage. Überall peinliche Sauberkeit und hochmoderne Maschinen, Einsatz von Spritzmitteln und genormte Verpackung. Wir sehen ab und zu auch die ArbeiterInnen, wenn sie Pause machen oder zu Ende des Arbeitstages alles klinisch sauber reinigen.
***1/2 herausragende Bilder der modernen europäischen Nahrungsmittelindustrie ohne jeden Kommentar oder Herkunftsbezeichnung – es ist ja ohnehin überall gleich. Die Bilder sprechen für sich !
Und so entschied die Jury:
http://www.diagonale.at/jart/projects/diagonale-2006/releases/de/uploads/Pressetexte%202006/DIAGONALE_Filmpreise06_final.pdf
Kurzfassung:
Der mit 21.000 € dotierte Spielfilmpreis ging an
Michael Hanekes Caché, der schon in den Kinos
lief und auch den europäischen Filmpreis erhielt. Auch mir erschien dies
zurecht, da alle anderen Spielfilme im Vergleich dazu, - mit Ausnahme von
Grbavica - mehr als schwach waren.
Lobende Erwähnung an. Grbavica, Spiele Leben, der Schläfer
Dokumentarfilmpreis
So erhielt „Babbooska“ und „Exile Family Movie“ ex aequo den Dokumentarfilmpreis.
Letzterer zeigt im Stile eines „Home Movies“ eine iranische Familie, die über
die Türkei nach Österreich geflüchtet ist und nur noch per Video mit der Familie
in Kontakt ist, ein Teil ist noch im Iran, der andere in den USA und in
Österreich. Die einzige Chance, sich wieder treffen, ist eine Pilgerfahrt nach
Mekka, das gefährliche Vorhaben gelingt, wo sie sich tränenüberströmt wieder
sehen.
Innovationspreis:
Chronomops von Tina Frank
int.16/45//son01/30x1 von lia
Eine Million Kredit ist normal, sagt mein Großvater von Gabriele Mathes
Norbert Fink
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