2005 – ein
guter Dokumentarfilmjahrgang
Dr. Norbert Fink berichtet von der Diagonale Graz
Die Diagonale, die sich als Werkschau des österreichischen Filmschaffens des
vergangenen Jahres versteht, konnte dieses Jahr auf ein außerordentlich
erfolgreiches Jahr zurückblicken. Zwar liegt der Anteil österr. Produktionen im
Kino bei nur 2%, dennoch erreichen österr. Filme immer mehr Beachtung im Ausland
und bei internationalen Festivals. Die Zeit, in der vor allem das triste
Vorstadtmileau, der Wiener Schmäh und die Tristesse Thema der Spielfilme sind,
scheint langsam zu Ende gehen. Besonders beachtlich waren die Dokumentarfilme:
neben den Kinohits „Workingmen´s Death“ und „We feed the world“ gab es einige
künstlerisch ganz beachtliche Werke, neben dem mit dem Dokumentarfilmpreis
ausgezeichneten „Babooska“ über das Leben im Wohnwagen eines kleinen
Zirkus, den formal sehr konsequenten „Unser tägliches Brot“ von
Geyrhalter, der auf jeden Kommentar, jeden Dialog und jede Hintergrundmusik
verzichtet, dafür aber in kunstvoll fotografierten Bildern uns die Normalität
der großindustriellen Nahrungsmittelherstellung vor Augen führt, ohne uns dabei
zu Vegetariern machen zu wollen oder irgendeinen Skandal aufdecken zu sollen..
Die Dokumentarfilme sind allerdings relativ unpolitisch, bzw. zeigen die
politischen Konsequenzen in deren Auswirkungen auf die ganz persönliche
Familiensituation: so im zweiten Siegerfilm des Dokumentarfilmpreises, dem „Exile
Family Movie“ von Arash, der eine in drei Länder verstreute iranische
Großfamilie zeigt, die sich letztlich bei einer Hadsch nach Mekka nach Jahren
endlich wieder treffen kann oder im viel beachteten „Tintenfischalarm“,
der uns sehr einfühlsam vor Augen führt, wie es ist, wenn man weder als Mann,
noch als Frau geboren wurde, die Politik die Ärzte aber praktisch dazu zwingt,
ein so geborenes Kind – medizinisch unnötigerweise - zu verstümmeln und daraus
– weil’s einfacher geht – eine „Frau“ zu machen, die sie aber auch nie werden
kann .
Leider gibt es immer noch immer viel zu viele
„unscharfe“ Filme, die von Videos mit einer fürs Fernsehen bestimmten
Technologie (d.h. 0,6 Megapixel) auf die große Leinwand transfeiert werden und
entsprechend amateurhaft aussehen, manche sehen darin bereits ein künstlerisches
Gestaltungsmittel. Mit dem langsamen Aufkommen eines besseren HD-Fernsehformates
werden jedoch auch diese Grenzen langsam verwischt und für den normalen Zuseher
kaum mehr spürbar, teils allerdings auch am Mangel echter 35mm Filme am österr.
Markt.
Beachtlich fand ich außerdem auch NEUE WELT
von Paul Rosdy, Er geht der Frage nach, was von dem großen Österreich-Ungarn
vor dem ersten Weltkrieg heutenoch geblieben ist. Originalzitate aus Zeitungen
von 1900-1914 und alte Filmarchivbilder werden der heutigen Situation in Triest,
dem Seehafen der Monarchie, Bosnien, Herzegowina, der Bukowina, Ungarn,
Siebenbürgen (Rumänien), der Ukraine, und Dalmatien gegenüber gestellt. Es
beginnt in Mostar und endet in Czernowitz, der ehem. österr. Provinzhauptstadt
in der Ukraine.
Aus der Zeit von Harald Friedl zeigt über einen Zeitraum von 3 Jahren vier liebenswerte alte Geschäfte in Wien, die so gar nicht in die moderne Shopping- und Wegwerf“kultur“ passen. Es ist da das alte Lederwarengeschäft Jentsch, wo offenbar seit 1874 nicht mehr aufgeräumt wurde, doch die Chefin repariert noch jede so alte Tasche oder Lederjacke für ein paar Euro. Der 85 jährige Peppi führt noch immer eine Drogerie, füllt Parfums nach und verkauft Terpentin auch „tropfenweise“. Eigentlich gar nicht so schlecht lief die Fleischhauerei Fritz in der Vorstadt, doch es findet sich kein Nachfolger, der das Geschäft übernehmen wollte. Und dann gab es noch die „Knopfkönigin“ Fee Frimmel, die ein wunderschönes Geschäft im noblen 1. Bezirk führte, doch mit dem Niedergang der Haute Coiture gab es immer weniger Kundschaft, erst als sie das goldene Verdienstkreuz der Stadt Wien erhielt, zeigt sie es jenen heim, die ihre Tätigkeit als Fall aus der Oberschicht Wiens betrachteten, ihr Gatte, der „Knopfkönig“ wurde ein Alzheimer-Pflegefall.
Bunica. Elke Groen und Ina Ivanceanu lassen „ihre“ Großmutter, die zum Zeitpunkt der Dreharbeiten 84 jg war, und in Bukarest ihre persönliche Geschichte erzählen. Im Doc kommentiert die resolute alte Dame aber auch die Geschichte Rumäniens, den Fall des Conductators, aber auch die Wirrnisse nach der Revolution: Korruption und Bankenskandale, die wachsende Unsicherheit im Land. Ergänzt mit Dokumentaraufnahmen ist auch dieser Beitrag durchaus sehenswert. Die rüstige Frau ist übrigens tatsächlich die Großmutter des Produzenten und einer der Regisseurinnen.
Und so entschied die Jury:
Der mit 21.000 € dotierte Spielfilmpreis ging an
Michael Hanekes „Caché“, der schon in den
Kinos lief und auch den europäischen Filmpreis erhielt. Auch mir erschien dies
zu recht, da alle anderen Spielfilme, außer dem auf der Berlinale schon
ausgezeichneten „Grbavica“ im Vergleich dazu mehr als schwach waren.
Dokumentarfilmpreis:
„Babbooska“ und „Exile
Family Movie“ erhielten ex aequo den Dokumentarfilmpreis.
Auch die Preise für innovatives Kino gingen an formal sehr interessante
Experimentalfilme, welche einen engen Zusammenhang zur zeitgenössischen
abstrakten Kunst und dem Design herstellten.
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