Bericht vom 13. Filmfestival Fribourg, 7.-14.3.1999
von Norbert Fink

Zum 13. mal fand in Fribourg, rund 30 km nach Bern in der frz. Schweiz, das Filmfestival des Südens statt. Als ich am Freitag mittag ankam, waren schon viele Filme „complét“ also ausverkauft. Ein gutes Zeichen für reges Interesse sowohl der Einheimischen, als auch der Gäste, die sich in familiärer Atmosphäre trafen.
Besondere Renner waren „La vida es silbar“ (Leben ist pfeifen), der einzige Film, der in Kuba im letzten Jahr produziert wurde, aber auch TGV aus Senegal und KENOMA aus Brasilien.


Nach dieser Postkartenansicht aus der Altstadt gleich zum Kino:



Fangen wir also gleich an mit dem Besten, was ich in Fribourg sah:
KENOMA; Iliane Caffé, Brasilien. 110 Min, Dolby SR.
Der Regisseur, 1961 in Sao Paulo geboren, studierte Psychologie und dann in San Antonio de los Baños in Kuba Filmregie, danach Kunststudium in Madrid; dies ist sein erster Langfilm.
EIN MEISTERWERK DES EXISTENTIALISMUS ! Jede Hoffnung ist doch nur Illusion ! Weniger ein „Western“ auf brasilianisch, wie ihn die PR-Leute verkaufen wollen, als vielmehr „Der Fremde“ in Mina Gerais. Ein Fremder schlägt sich autostoppend durch das arme Hinterland im brasil. Bundesstaat Mina Gerais. Ein Auto setzt ihn in der Einöde ab. Der nächste Laster nimmt ihn nicht mit, wohl aber eine sehr schöne, aber wortkarge Frau auf einem Fahrrad. Er landet in der Dorfkneipe von Kenoma, trifft auf einen Dorftrottel und einen Verrückten, der seit 20 Jahren aus der alten Dorfmühle ein „perpetuum mobile“ machen will. Das Dorf zieht in magisch an. Ein Mord – in Verteidigung des perpetuum mobile. Das Böse naht – der Fortschritt kommt in Form eines Politikers und will aus der alten Mühle einen Getreidespeicher machen. Auch Garimpeiros (Goldsucher) machen die Gegend unsicher. Der Fremde hilft ab und zu dem wahnsinnigen Mechaniker, kann ihm aber nicht weis machen, daß es kein perpetuum mobile geben kann (so lehrt es uns die Physik). Auch seine zaghaften Annäherungen an die Schöne bleiben Blicke der Begierde. Zum Schluß, als der Abrißtrupp schon bereit steht, scheint das Unmögliche wahr zu werden: die Maschine läuft – aber wie in Alexis Sorbas fällt der Traum, die Arbeit ohne Lohn vieler Jahre, bald tosend in sich zusammen.
Die Schöne und der Fremde verlassen den trostlosen Ort. Doch selbst ihre Hoffnung auf Liebe bleibt pure Illusion. Sie treffen sich nicht.
Ein Meisterwerk in Bild und Ton, wie es Camús und Sartre gefallen hätte !
Leider war der Film nicht im Wettbewerb.


TGV, Moussa Touré, Senegal, 1997 .
Neu bei Trigon war dieser heitere Film, der alle Probleme schwarzafrikanischer Länder in einen Kleinbus packt. Ein schönes Road-Movie, schöne Landschaften, etwas politischer Hintergrund, sogar spannend und ein paar unterschiedliche Charaktere. Normalerweise ist der Bus von Dakar (Senegal) nach Conaky in Guinea immer knallvoll. Doch diesmal taucht eine Militärkolonne mit Flüchtlingen auf: die Bassaris in der Grenzregion rebellieren! Fahrt auf eigene Gefahr ! Einige steigen wieder aus, doch auch mit 9 Passagieren und einigen Schafen geht es los. Ein Minister und seine Frau und ein französisches Forscherpärchen, daß das Leben eines afrikan. Königs im 14. Jhdt. erforscht, steigen noch zu. Die üblichen Probleme, Autopanne, Gewitter, und die Rebellen, welche die Franzosen entführen und als Geiseln nehmen....
Der Film tat zwischendurch so richtig gut, weil doch sonst Bilder der Trostlosigkeit und des Elends dieses Festivals dominierten.

WEST BEYROTH; LIBANON 1998
Ziad Doueri, Libanon 1998, 105 Min, Dolby SR, ARTE / Trigon
Auch dieser Film im Wettbewerb war ausgezeichnet. 1975 in Beirut. Eine gut situierte arabische Familie, die den Sohn aufs französische Gymasiums schickt - islamisch? Ja, aber keine Spur von Schleier. Christen und Moslems leben ziemlich friedlich zusammen, klar, es gibt kleine Animositäten, aber auch Freund- und Liebschaften über die ethnischen und religiösen Grenzen hinweg. Man hat sich an den Luftkrieg zwischen Syrien und Israel über Beirut schon gewöhnt. Am 13. April 1975 bricht offiziell der Bürgerkrieg aus. Wie einst in Berlin, wird die Stadt geteilt in Ost und West, den christlichen und den islamischen Teil.
Es gibt kaum mehr eine Möglichkeit, in den anderen Stadtteil zu kommen. Nur der Fahrer eines berühmtes Bordells darf die Demarkationslinie passieren und Kunden aus beiden Teilen zur erfahrenen Madame und ihren begehrten Mädchen führen.
Erzählt wirdaus der Sicht des Gymnasiasten: ein normaler Lausbub mit den üblichen Interessen der Pubertierenden. Er ist zwar Moslem, hat aber eine christliche Freundin und hört westliche Popmusik, Paul Anka und Soul. Plötzlich schlagen Bomben ein. Nächte im Luftschutzkeller.  Hurrah, keine Schule mehr, aber auch keine Arbeit für Vater (beide liegen im anderen Teil der Stadt); Mutter dreht durch und will flüchten, das Essen wird knapp. Demonstrieren für die gerechte Sache der Palästinenser und gegen der Imperialimus der USA und seines Vasallen, Israel: ja klar: aber nur noch verschleierte Frauen, keine westliche Musik und Fernsehen mehr? Islam. Fundamentalismus, nein danke!
Auch diesem Film, der die bedrückende Situation in einer Stadtwohnung bei einem Kriegsausbruch zeigt, gelang es immer wieder durch Humor und auflockernde Szenen (etwa der zufällige Bordellbesuch der 15 jg im anderen Teil der geteilten Stadt) und durch die frechen Dialoge der Jungen beider Konfessionen einen unterhaltsamen, aber auch vielschichtigen und spannenden Film zu machen. „Während der ersten Jahre des Bürgerkriegs, war ich trotz der Furcht, die ich bei meinen Eltern erahnte, unfähig, Angst zu spüren.“ sagt Ziad zu seinem Film.

Weiters sah ich:
Pyaasa. (Der Verdurstete, Guru Gutt, SW  153 Min, Indien 1957)
Ein indischer Klassiker aus dem Jahre 1957, der uns zeigt, daß Lüge und Käuflichkeit nicht erst jetzt entstanden sind.
Ein Dichter wir zeitlebens verspottet, seine Gedichte zum Preis von Altpapier verschenkt. Plötzlich hört er ein Freudenmädchen Lieder mit seinen Texten singen, doch da er kein Geld hat, wird er abgewiesen. Dennoch entdeckt die schöne mietbare Dame seine Werte. Als er einem Bettler seine Jacke schenkt und dieser unter einen Zug gerät, wird kolportiert, er habe Selbstmord verübt und sei tot. Inzwischen werden seine Gedichte Bestseller und seine Brüder, die in zeitlebens verstoßen hatten, wollen Tantiemen. Als er wieder auftaucht, kommt er ins Irrenhaus. Allein die Dirne und ein Behinderter bestätigen seine Identität, doch sogar seine Brüder leisten gegen Geld Meineid. Zu seinem Todestag wird er groß gefeiert und alle seine falschen Freunde prahlen damit, was sie für ihn getan haben. Er kann soviel Falschheit und Lüge nicht ertragen und er flüchtet mit der Dirne in die Wüste.
Ich traf im Kino erfahrene Filmkritiker, die diesen Film zum 4. Mal sahen – mit Tränen in den Augen! Ein Melodram der allerersten Güte !



Aus der Serie Panorama Kazachstan:
Konecnaya Ostanovka.(Terminus / Endstation). Serik Arpimov, Kasachastan 1983.
Ein junger Mann wird aus der Sowjetarmee entlassen und kehrt in sein Dorf in Kasachstan zurück. Seine Freundin hat inzwischen einen anderen geheiratet, im Dorf treiben dubiose Kriminelle ihr Unwesen. Hier kann es keine Zukunft geben. Der semidokumentarische Film zeigt berührend und eindringlich die absolute Trostlosigkeit nach dem Zerfall der UdSSR.
Entstanden zu Gorbatschov´s Zeiten – wohl ein einzigartiges Dokument.


Leider liefen auch dieses Jahr einige Videos, dürftig projeziert auf Großleindwand, die als Dokumentarfilme verkauft wurden, aber ziemlich amateurhaft wirkten. So ein ganzer Block der „Freires sin fronteires“ (Brüder ohne Grenzen), einer befreiungstheologisch orientierten Gruppe katholischer Priester, die soziale Mißstände in Lateinamerika aufzeigten. Meine Herren, das hat Ché Guevara auch schon gemacht und ihr lieben Christen hattet 2000 Jahre Zeit, es besser zu machen. Und der Papst steht ja heute noch zu Pinochet.


Apropo Pinochet: So ein Video hieß auch FERNANDO HA VUELTO und kommt aus Chile. Eine Kommission von Pathologen bemüht sich mit heutiger Technik die getöteten Opfer des Terror-Regimes von Augusto Pinochet zu identifizieren. Es wird ein Fall durchgegangen. Fernando wurden 27 (!) Knochen durch Folter gebrochen, ehe er drei tödliche Schüsse erhielt.
Dies ist nun medizinisch sauber nachgewiesen, die Knochen werden der Familie übergeben und beerdigt. Trotz der Aufklärung des Falles bleiben die Folterknechte und Mörder unangeklagt. Die Familie durchlebt erneut die Trauer und den Schmerz.

Leider gab es auch ziemlich banale und langweilige Filme, die ich hier nicht weiter anführen will. Und heuer waren weniger Filme aus Lateinamerika da, die siegreichen Argentinier der letzten Jahre fehlten (Pequeños Milagro, Tango...) . Gelobt wurde auch ein Film aus Sri Lanka, den ich leider nicht gesehen habe



Norbert Fink

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