Fimkritken 2010 des FKC Dornbirn

wenn nicht anders angegeben ist Dr. Norbert Fink der Autor

WG = Prof. Walter Gasperi
Urs = Dr. Urs Vokinger

Weitere Kritiken von Walter Gasperi finden sich
auch hier. (Kultur-Online - auf Filmriss weiter klicken)
bestmöglich: *****, **** = herausragend, ***= sehenswert, ** diskutabel, * mangelhaft, # langweilig, ## = 2 Schlafkissen für besonders langweilige Filme

Hinweis - hier kritisiere ich im allgemeinen aktuelle Filme, die ich irgendwo auf der Welt sehe, in der Regel nicht jene, die wir sicher ins Programm aufnehmen oder selbst gezeigt haben.

 

KAPITALISMUS - EINE LIEBESGESCHICHTE Nanga Parbat The Ghostwriter (Polanski)
Nord Yo tambien Der Atem des Himmels
Inferno Jud Süß - Film ohne Gewissen Das Konzert
Der Prophet Guru  

GURU - Bhagwan, His Secretary & His Bodyguard

Sabine Gisiger und Beat Häner; CH 2010, 98 Min, Englische Originalfassung mit deutschen Untertiteln

Am Anfang stand in Bombay ein hellwacher, charismatischer junger Mann, der seine Lehren predigte und lebte und seinen Fans zuhörte und sie leitete, viele Frauen verliebten sich spontan in ihn. Als es zu viele wurden, suchten sie einen Ort, wo sie ihr Wirken ungestört machen konnten und zogen nach Poona in Indien.
Er vermischte sexuelle Befreiung, Spiritualität und gruppendynamische und psychotherapeutische Techniken, doch bald wurden Dienstleistungen („Therapiegruppen“) verkauft und die Mitglieder nach Brauchbarkeit im ehrenamtlichen Arbeitseinsatz ausgewählt, gleichzeitig wurde die Rolls-Royce-Flotte des inzwischen vom „Lehrer“ zum „göttlich Erleuchteten“ genannten immer größer. Baghwan (der „Sex-Guru“) wurde immer abgehobener, scheute den persönlichen Kontakt und dröhnte sich mit Lachgas zu.
Da viele Jünger aus den USA kamen, wo die Hippiebewegung blühte, zog er in die USA. Dort suchten sie sich in Oregon ein Wüstengebiet aus, das eigentlich nicht bewohnt hätte dürfen. Nach einem alten Gesetz, wonach 150 US-Bürger eine neue Stadt gründen können, kaufte Sheela die Big Muddy Ranch und machte dort ein Sicherheitsgelände daraus, arrangierte Scheinheiraten u.a. Aktionen, wofür die Sekretärin Sheela dann auch zu einer Haftstrafe verurteilt wurde. Sein Bodyguard wurde ebenfalls unehrenhaft entlassen, nachdem er Kritik am Baghwan und den Lebensbedingungen in der Kommune geäußert hatte. Baghwan selbst wurde ausgewiesen und kehrte nach Indien zurück, wo er im Alter von 59 verstarb.
http://de.wikipedia.org/wiki/Osho

*** guter Dokumentarfilm, der viel Zeitgeist von damals erklärt, aufgefrischt mit einigen Super-8 Filmausschnitten vom damaligen Kommunenleben der Flower-Power-Generation. Allerdings waren auch die von dem Korsett bürgerlicher Sexualmoral befreiten Menschen nicht davor gefeit, sich auf Irrwegen zu bewegen bzw. erkannten sie nicht, dass die anfangs ehrliche Idee in eine völlig andere Richtung abdriftete, von der nur der „Erleuchte“ selbst finanziell profitierte.


Un Profète (Der Prophet)

Jacques Audiard, F 2009, 155 Min

Der in Cannes ausgezeichnete Gefängnis / Mafia -Film zeigt äußerst drastisch und hyperrealistisch die Strukturen hinter Gitter.
 

Der 19 jg.  Araber Malik El Djebena fasst für ein relativ kleines „Ding“ 5 Jahre. Eigentlich will er unschuldig bleiben und die Zeit möglichst ohne Konflikte hinter sich bringen, doch es gelingt ihm nicht. Er bekommt sofort die Macht César Luciani´s, eines korsischen Paten zu spüren, der offenbar der geheime Regent im Gefängnis ist, es gibt aber noch eine konkurrierende muslimische Bande. Um von ihm beschützt zu werden, muss er erst mal einen Mord begehen. Doch er lernt im Knast auch Lesen und Rechnen, dank seiner Intelligenz beginnt er seinen Meister zu übertrumpfen, auch in Sachen Gewaltausübung und Machtanspruch. Bei seinen Freigängen erlebt er krasse Dinge und vollstreckt Lucianis Befehle, doch nebenbei kümmert er sich um seine Drogengeschäfte und die Zeit nach seiner Entlassung.
 

Am Schluss, als er entlassen wird, steht er auf einer anderen Seite und kann es Luciani heimzahlen. Bemerkenswert auch der Abspann: eine völlig neue Version des Weill / Brecht Songs "und der Haifisch, der hat Zähne" aus der Dreigroschenoper.
 

**** packender bis verstörender Film, der zeigt, dass Gefängnisse nicht bessern, sondern aus kleinen Kriminellen Profis machen. Auffallend innovative Bildsprache!

Oscar-Nominierung, César- Preise und Großer Preis der Jury in Cannes , Étoiles d'Or …


Das Konzert
 Regie: Radu Mihaileanu. Mit: Alexeï Guskow, Dmitri Nazarov, u. a. Frankreich/Italien/Rumänien/Belgien/Russland 2009, 122 Min.

Ob es den Andreij Filipov wirklich gegeben hat, konnte ich nicht ergoogeln! Jedenfalls ist der Film ein groteskes Feel-Good & Happy-End Movie aber nicht sehr glaubhaft. Mag sein, dass es unter Breschniev in der UdSSR jüdische Künstler schwer gehabt haben, dass ein Stardirigent von damals aber noch im heutigen Russland, 30 Jahre später, nur Putzmann im Theater ist und es dann noch schafft, ohne jede Probe Tschaikowsky´s Violinkonzert mit einer Bande von Zigeunermusikern, Alkoholikern usw. perfekt hinzukriegen ist eben pures Gefühlskino. Dass seine gewünschte Starsolistin gar noch seine Tochter sein soll, und sie es noch nicht weiß, ist eine nette Pointe, doch fehlt gerade dieser Höhepunkt im Film, dass sie es aus seinem Mund erfährt. Als Klassikfan ist man hin- und hergerissen zwischen wahnsinnig schöner Musik, Slapstick á la  Police Academy und plumpen antikommunistischen Gags, die heute sinnlos sind. Natürlich fiebert man mit, wenn der Putzmann Filipov das Fax klaut, dass ihn aus Moskau mit Stargagen nach Paris einlädt, wenn er aus Obdachlosen und anderen Underdogs ein Orchester zusammenstellt, Pässe und Visas fälschen muss und selbst in Paris alle Musiker ihren privaten Geschäften nachgehen, statt ernsthaft zu proben. Und als die ersten Takte total daneben gehen, es sich dann aber wunderbar einlenkt, weint man fast mit. In Zusammenhang mit Klassik wirklich eine neue Idee, die man aber besser und glaubhafter mit einer Bluesband gemacht hätte.

*** völlig absurde Slapstick-Geschichte um einen abgesetzten Stardirigenten des Bolshoi-Orchesters, der als Hochstapler die Chance nutzt in Paris zu alter Größe und Ehre zu gelangen, mit seiner unbekannterweise eigenen Tochter als Solistin. Für Klassikfans ein Spaß!


Jud Süss – Film ohne Gewissen
Deutschland/Österreich, 2010; Regie:Oskar Roehler
Tobias Moretti (Ferdinand Marian), Martina Gedeck (Anna Marian), Moritz Bleibtreu (Joseph Goebbels), Justus von Dohnányi (Veit Harlan) u.a.

„Jud Süss“, eines der erfolgreichsten antisemitischen Machwerke des Dritten Reiches hatte am 24.9.40 seine Deutschlandpremiere, 60 Jahre später blickt nun Oskar Roehler auf die Entstehungsgeschichte des Filmes zurück. 1940 durften Juden keine Rollen mehr in Film und Theater spielen, die KZ waren in Bau und die Vernichtung der Juden in Planung bzw. schon im Gange.
Marian ziert sich lange die Rolle im Film anzunehmen, obwohl ihn Goebbels persönlich dazu drängt, als er doch zustimmt, versucht er den Juden möglichst menschlich und sympathisch zu spielen, um die böse Wirkung des Filmes zu entschärfen. Doch vergebens: der Film hatte die Wirkung Hass gegen die Juden zu schüren nicht verfehlt und SS-Soldaten sahen sich durch den Film zu ihren Verbrechen motiviert; als Marian dies sieht, ergibt er sich dem Suff.
Der Film wurde bei der Berlinale ausgebuht, es wird im angekreidet, dass vieles nicht den historischen Tatsachen entspricht: so ist seine Frau im Film eine Halbjüdin und wird eiskalt ins Gas geschickt, so gibt es einen Juden namens „Adolf Wilhelm Deutscher“, den die Marians verstecken und der eines Tages vom BDM-Zimmermädchen verraten wird und am Ende macht Marian mit einem Auto betrunken Selbstmord. Es fragt sich, ob diese „dramaturgischen Freiheiten“ wirklich nötig waren und ob sie nicht die gesamte Glaubwürdigkeit des Filmes in Frage stellen.
Dabei wird gut der Meinungsterror der Nazis, deren Methoden und Ideologie gezeigt; allerdings auch mit der Gefahr für die heutige Jugend, sie recht lässig, schick und gut gestylt darzustellen, hübsche Frauen und echte Kerle in tollen Uniformen und irgendwie ein wieder modern aussehendem Ambiente.
Unbestritten sind die schauspielerischen Leistungen von Moretti und Gedeck, Bleibtreu hat die Sprache Goebbels gut nachgeahmt und überzeichnet den Schauspieler Geobbels. Überhaupt sind Goebbels und andere Nazi-Schergen ja recht lustige, lebensfrohe Kerle, die Alkohol und noch mehr die Frauen lieben (es muss ja nicht die eigene sein) und auch Marian nutzt jede Gelegenheit.
Der Film ist spannend und unterhaltend, überzeichnet aber bis zur Groteske, etwa wenn Marian bei Bombenalarm mit der Frau eines Nazis statt in den Luftschuftbunker in ein höher gelegenes Zimmer geht, wo sie unter der Kulisse des Bombenhagels und der Flak-Lichter von ihm als vermeintlich besonders potenten Juden es besorgt bekommen will.
Der Film ist farblich desaturiert und in den Farben der ersten Agfacolor-Filme der Ufa gehalten, recht authentisch nachgestellt sind die scheinbaren Original-Szenen aus dem Film.


*** Alles in allem eine durchaus provokante Auseinandersetzung mit dem damaligen Hetzfilm, dessen Aufführung immer noch verboten ist, der aber im Internet leicht zum Download gefunden werden kann.


INFERNO - L'ENFER D'HENRI-GEORGES CLOUZOT
F2009, Regie: Serge Bromberg, Ruxandra Medrea; mit Romy Schneider und Serge Reggiani
Ein Leckerbissen für Filmhistoriker und alle an Filmgeschichte Interessierten ist dieser Film. Clouzot, einer der besten Regisseure seiner Zeit ("Lohn der Angst") erhielt ein praktisch unlimitiertes Budget, um mit Romy Schneider 1964 den Film "L´enfer-die Hölle" zu drehen. Es sollte darum gehen, jemand mit experimentellen Mitteln darzustellen, der an einer pathologischen Eifersucht leidet und sich und seiner Frau so das Leben zur Hölle zu macht. Ein junges Paar betreibt ein Hotel an einem See, darüber eine riesige Eisenbahnbrücke. Jeden freundlichen Blick zu den Kunden wertet er als Beweis für ihre angebliche Untreue, als sie mit einem mit aufs Boot geht und Wasserski fährt, dreht er durch...

Romy Schneider sehen wir in ziemlich lasziven Szenen: nackt an Eisenbahnschienen gefesselt räkelt sich Romy Schneider vor einem heranrasenden Zug; Lasziv raucht sie in die Kamera; Erotisch lachend lässt sie Champagner überlaufen. In keinem anderen Film gab die damals 26 Jahre alte Schauspielerin so viel von sich preis wie hier und streift sich das "Sissy" Image ab.
Clouzot machte hunderte von Probeaufnahmen, teils in SW, teils wurden Farbtricks ausprobiert, z.B. sollte das Blau eines Sees blutrot werden, damit die Gesichter aber natürlich aussehen sollten, wurden sie invers (=blau) geschminkt. Elemente der Op-Art wurden eingebaut.

Clouzot ging hart mit seinem Team um, da er nicht gut schlafen konnte, weckte er oft nachts um 2 seine Mitarbeiter, wenn ihm wieder was eingefallen war, 3 verschiedene hochkarätige Kamerateams waren im Einsatz, und das Team war unter Druck, weil der See, an dem sie drehten, abgelassen und in einen Stausee verwandelt werden sollte.
Die ganze Arbeit wurde ein Desaster, als ihm der Hauptdarsteller entnervt davon lief, erlitt Clouzot einen Herzinfarkt und das teure - von Columbia finanzierte Projekt scheiterte. Über 50 Jahre schlummerten die Filmrollen mit über 15 Stunden Material im Archiv, wurden nun gesichtet und in diesem Film verarbeitet. Originalton war aber kaum vorhanden, ein Tonband beweist aber, dass er elektroakustische Musik zu seinen Filmtricks verwenden wollte. Seine übertriebene Präzision und sein Drang, überall selbst dabei zu sein, verdammten die jeweils anderen zwei Filmteams  zu wenig Produktivität. Es ist einer der teuersten Filme, die nie herauskam.

*** Man kann sich gut vorstellen, welches Meisterwerk der Film hätte werden können. Mittelding aus Doc und Kompilation.


Der Atem des Himmels
Reinhold Bilgeri, A, D 2010, 141 Min.
Erna von Gaderthurn, eine 41 jg Lehrerin, die ihren Mann im Krieg verloren hat, zieht entgegen des Wunsches ihrer Mutter nicht nach Innsbruck, sondern nach Blons ins Große Walsertal um dort zu unterrichten. Völlig overdressed wird sie von einem Militärjeep der französischen Besatzungstruppen ins Gemeindeamt gebracht, wo auch die Schule untergebracht ist. Bald spürt sie selber die patriarchalischen Strukturen im Dorf. Zwei verfeindete Männer werben um sie: der ebenfalls blaublütige Baron, der dem Tal einen Lawinenschutz auf seinen Grundstücken verweigert  und der rebellische Lehrerkollege Casagrande, der gerne "Negermusik" (Jazz) auf dem Saxophon spielt. Er ist auch ein  Lawinenexperte und warnt vor der herannahenden Katastrophe - am 11.1.1954  gehen mehrere Lawinen nieder und begraben das Dorf unter sich, über 70 sterben. Auch Casagrande, von dem sie schwanger ist, stirbt in ihren Armen an den Folgen der Lawinen.

Das tragische an dem Film ist, dass Bilgeri nichts loslassen konnte und alles, Szene für Szene, einpacken wollte und dabei jede Sekunde mit Musik zupflastert. Der wohl preisgekrönteste österr. Regisseur Michael Haneke hingegen verwendet keine Filmmusik, außer man sieht musizierende Menschen im Film. Auch in den Dogma-Filmen war Background Filmmusik verpönt. Nicht nur, dass das, was er filmisch nicht auszudrücken vermag, durch einen Kommentar aus dem Off erklärt werden muss, am penetrantesten ist die Musik, kaum ist der Dialog zu Ende schiebt er den Schieberegler hoch und deckt alles zu. Von Mozart bis Vivaldi im Hause des Barons, vom Bolero beim Sex im Heustadel bis zu Bill Haley beim Silversterfest. Dass dabei auch Grammophone und Volksempfänger einen brillanten Stereosound hatten, ist mir neu, ebenso hatten die Postautos damals Wiener W-Nummern und keine V-Nummern... Auch war das Große Walsertal damals nicht mit störungsarmer UKW versorgt, sondern mit der guten alten Mittelwelle, (was er erst auf der Hütte richtig zeigt).

Der im Fernsehformat 16:9 und nicht etwa im cinephilen Cinemascope gedrehte Film ist zwar nicht langweilig und zeigt einiges aus Vorarlberg und der damaligen Zeit, so richtig mitfühlen kann man die Katastrophe, die am Anfang schon an Hand alter Wochenschauen vorweggenommen wird, nicht. Emotional wird er erst, nachdem die Lawine abgegangen ist.
Unklar ist auch, warum Erna immer wieder wie eine Modepuppe den Einladungen des Herrn Barons  - einmal sogar auf einen Sekt auf der Hohentwiel (!) - folgt.
Körbersee und Rappenlochschlucht müssen auch noch als Naturschönheiten des Großen Walsertals herhalten, doch gibt er dies im Nachspann zu. Auch ist die Erna, gespielt durch die Ehefrau Bilgeris nicht unbedingt fehlbesetzt, aber zu dominierend ins Bild gesetzt. Etwas mehr Distanz zum Buch, zur Musik und auch zur Hauptdarstellerin hätte dem Film gut getan, nach dem Motto, weniger ist manchmal m
ehr.

* 1/2 Weder reiner Heimatfilmkitsch, noch spannender Katastrophenfilm, sondern eine völlig überfrachtete Beziehungsgeschichte mit dem Hintergrund der historischen Lawinenkatastrophe von 1954.

    

etwas schärfer ausgefallen ist die Meinung meines Stv. Obmannes:

Walter Gasperi kritisiert: "Der Atem des Himmels" von Reinhold Bilgeri


Yo tambien (Me too, ich auch)


Antonio Naharro, Álvaro Pastor, Spanien 2009, 105 Min, spanische OmU.
Daniel ist der erste Mann in Spanien, der es trotz Down-Syndrom geschafft hat, einen akademischen Abschluss zu absolvieren. Er bekommt einen Job in einer Beratungsstelle für Behinderte und wird gleich mal mit einem Kunden verwechselt. Er verliebt sich in die Kollegin Laura, die ihn zwar nicht als "Behinderten" behandelt, aber vorerst vor der letzten Konsequenz, mit ihm wie mit vielen anderen auch, ins Bett zu gehen, zurü
ckschreckt. Der Film zeigt die enormen Vorurteile der Gesellschaft gegen diese Menschen auf. Laura und Daniel verhelfen anderen Behinderten zu einem normalen Sexualleben, aber wie schaut es bei ihnen selber aus?
Der Film wird nie schlüpfrig oder gar peinlich und ist an sich ein normal gestrickter Liebesfilm, weder mit einem kompletten Happyend noch mit offenem Ausgang, Lauras Entscheidung in der Silvesternacht ist schwer nachvollziehbar, aber dramaturgisch eine gute Lösung.
*** das Thema Vorurteile gegen Menschen mit Behinderung und deren Recht auf eine normale Sexualität wird sehr stimmig behandelt.


NORD

Rune Denstad Langlo
Norwegen 2009, 78 Min., Norwegische Originalfassung mit deutschen Untertiteln
Mit Anders Baasmo Christiansen, Kyrre Hellum, Marte Aunemo u.a.

Im Stile von Kaurismäki wird die Geschichte des depressiven, an Panik-Attacken leidenden Jonar erzählt. Er arbeitet – kaum motiviert – an einem Skilift und besucht die ambulante Tagesklinik der Psychiatrie. Hat er sich einmal hingelegt, ist er zu müde noch eine Karte auszugeben.
Er erfährt, dass er im hohen Norden einen Sohn haben soll und fährt mit dem Ski-Scooter dahin, da er in Öffis die Panik bekommt, auch Tunnels sind im sehr suspekt.
Sein einziger Proviant sind Schnaps und Zigaretten.
Schneeblind geworden, pflegt ihn ein einsames junges Mädchen; er übernachtet in Notunterkünften, die er manchmal brennend verlässt, trifft viele skurrile Gestalten, so einen lebensmüden Greis, fröhliche Panzerfahrer, die wegen ihm ein Manöver abbrechen mussten, und einen Jungen, der Angst vor Homosexuellen hat und sich den Alkohol über die Kopfhaut einziehen lassen will; sie weisen Jonar wieder den Weg zurück ins Leben...
In der Tat reißt er sich mit dieser wagemutigen Reise aus seiner Depression und erreicht früher oder später sein Ziel. Ist es das Licht oder die Umwelt, die ihn zu Aktivitäten zwingt – im Sinne der „erlernten Hilflosigkeit“?

Ein Road- oder besser Schnee-Movie aus dem hohen Norden, leider handwerklich nicht immer ganz perfekt.

***1/2 antidepressiv wirkendes nettes, kleines und billiges Road-Movie um einen schwer depressiven Mann mit Panikattacken, der am liebsten schläft, raucht und Schnaps trinkt, aber doch auf eine heilsame Reise aufbricht.


The Ghostwriter
Roman Polanksi, F, D; GB 2010, Cinemascope, 128 Min.


Der Film wurde in Berlin mit dem Silbernen Bären für die beste Regie ausgezeichnet. Ein Kritiker meinte dazu, das sei wohl aus Solidarität mit dem in der Schweiz unter Hausarrest stehenden Starrregisseur geschehen. Man kann zwar zwischen den Eingebunkerten im Film und dem Hausarrest Polanskis in Staad einige Parallelen ziehen, letztlich ist der Film aber schon vorher gedreht worden, getreu der Vorlage von Richard Harris’ Polit-Thriller The Ghost (2007)
In der Tat ist der Film sehr konventionell gemacht, konventioneller als manch innovativer Tatort-Krimi. Er rollt eine Verschwörungstheorie auf. Der britische Premier Adam Lang ist „rein zufällig“ der eines Tony Blair sehr ähnlich, der einem Ghostwriter seiner Memoiren diktiert. Der erste ist dabei auf mysteriöse Weise umgekommen, und auch für den zweiten wird es nicht sehr gesund werden.

Doch beginnen wir von vorne: in der Anfangsszene sehen wir eine Fähre, aus der ein PKW herausgeschleppt wird, weil der Fahrer offenbar nicht gekommen ist, wenig später sehen wir eine Leiche, die an den Strand geschwemmt wird. Der Verleger sucht einen Nachfolger für diesen Ghostwriter, der die Memoiren des britischen Ministerpräsidenten schreiben soll. An sich sind sie fast fertig, bedürfen nur noch eines Feinschliffes. Dazu soll ein politisch unbedarfter Brite herangezogen werden. Auf einer kleinen Insel in den USA unweit New Yorks soll er in Ruhe und unter strengsten Sicherheitsvorkehrungen arbeiten können, der Premier und seine Frau sind auch anwesend. Allmählich kommen heftige Proteste von Friedensbewegten auf. Das Den Haager Tribunal klagt ihn wegen Kriegsverbrechen an, weil er Terrorverdächtige der Folter („Waterboarding“) in Gefängnisse des CIA übergeben habe.

Als der Ghostwriter wieder mal seine Unterkunft wechseln will, entdeckt er per Zufall einige Fotos, die beweisen, dass Lang gelogen hat, als er sagte, er sei aus Liebe zu Ruth erst der Labour Partei beigetreten. Er recherchiert auch den Tod seines Vorgängers, die Unfallthese wird unglaubwürdig; er deckte vielmehr auf, dass Lang und seine Frau Ruth Agenten des CIA gewesen sind. Schließlich hat er sich während seiner Amtszeit ja förmlich darum bemüht, der Bush-Regierung zu Willen zu sein…

Einigermassen spannend ist er ja und auch handwerklich recht versiert, das Ende ist nur zum Teil unerwartet. Auch der kurze Seitensprung von Ruth mit dem Ghostwriter ist so ein allzu konventionelles Schnörksel. Pierce Brosnan spielt den manchmal cholerisch aufbrausenden Lang, Ewan McGregor den Ghost.
*** gute Unterhaltung mit politischem Hintergrund, aber kein innovatives Kino.


Nanga Parbat
Joseph Vilsmaier, D 2009, 104 Min.

Am Ende des westlichen Himalaya im nördlichen, pakistanisch kontrollierten Teil von Kashmir gelegen, ist er mit 8125m die größte sichtbare, freistehende Massenerhebung der Erde. Die Südtiroler Brüder Günther und Reinhold_Messner durchkletterten 1970 als 23 bzw. 25 Jährige zum ersten Mal die gesamte, äußerst schwierige Rupal-Wand (Südwand), die höchste Steilwand der Erde. Reinhold Messner entschied, über die Diamirwand auf der Westseite abzusteigen. Damit gelang 1970 die erste Überschreitung des Nanga Parbat – und nach dem Mount Everest 1963 die erst zweite Überschreitung eines Achttausenders überhaupt. Beim Abstieg kam Günther Messner ums Leben. Soweit die bekannten Fakten.
Der Film von Vilsmaier zeigt die Bergsteigerkarriere der beiden Messner Brüder, es beginnt dabei der waghalsige Sport an der Kirchenmauer und in den heimatlichen Dolomiten, schon hier träumten sie vom schwersten Berg der Welt, dem Nanga Parbat. Der deutschnational angehauchte DDr. Karl Herrligkoffer leitete schon 1934 eine deutsche Nanga-Parmat Expedition und führte diese mit militärischem Drill und ebensolcher Logistik, Reinhold Messner setzte aber auf Spontaneität, je nach Wetter- und anderen Bedingungen, auch reizten ihn Alleingänge. 1970 schlossen sich die Messner-Brüder der Herrligkofer-Spedition an, als diese zu scheitern drohte entschloss sich Reinhold zum Alleingang, doch sein Bruder kletterte ihm nach. Beide wussten, dass der Rückweg nicht gesichert war, völlig erschöpft starb dabei Günther, im Film an einer Lawine.
Gerade diese Szene ist dramaturgisch nicht besonders geglückt, plötzlich sind die beiden Brüder nicht mehr dicht beieinander, Günther, schon völlig durchfroren und erschöpft, ruht sich etwas aus und Reinhold geht weiter, dann die Lawine.
Herrligkofer hat Reinhold Messner bis zu seinem Tode nicht verziehen, seine Befehle nicht befolgt zu haben und polemisierte in Vorträgen und Büchern gegen ihn. Dennoch ließ er seine Expedition als Erfolg feiern. Karl Markovics als Dr. Herrligkofer spielt exzellent, Florian Stetter und Andreas Tobias verkörpern die Messners, Lena Stolze ihre Mutter. Die Musik von Gustavo Santaolalla ist etwas monotoner Retro-Rock.

** Zwar mit eindrucksvollen Bergaufnahmen und sich an die wesentlichen Fakten haltend, dennoch nicht  besonders spannender Film (zumindest für einen "Coach-Potato" wie mich)

KAPITALISMUS - EINE LIEBESGESCHICHTE

Michael Moore, USA 2009, 120 Min.

Michael Moore, der als kritischer US-Bürger die gröbsten Auswüchse des "American Style of  Life" aufzeigt, ist kein Sozialist oder gar Kommunist, vielleicht sympathisiert er mit einigen sozialdemokratischen Ideen. Er bietet deshalb seinen "fellow citicens" keine Alternative an. Zu Beginn des Films vergleicht er die USA mit dem alten Rom, das an seiner Dekadenz und Bürgerferne zugrunde gegangen ist. Durch eine Art Putsch durch die Finanzmacht Goldman Sachs, aus dessen Bankhaus die meisten Finanzminister gestellt wurden, musste der  Staat in der Finanzkrise Milliarden Dollar zur Rettung der Banken bereitstellen - Geld zur Rettung notleidender Betriebe oder Bürger gab es dann nicht mehr. Dass daran Moores Lieblingsfeind G.W. Bush Hauptschuld war, ist eh klar.
Es wird immer wieder gezeigt, wie durch haarsträubende Finanzprodukte Bürger um ihr eigenes Haus kommen und gnadenlos delogiert werden. Indessen sinken die Löhne ständig, so gibt es Piloten, die für 16.000$ im Jahr arbeiten und um Lebensmittelgutscheine betteln müssen. Auch der Pilot, der die heldenhafte Landung auf  dem Hudson River zustande brachte, muss sich mit 20.000$ Jahreseinkommen zufrieden geben, die Banker hingegen lassen sich neben einem
saftigen  Grundgehalt in zehn- bis zwanzigfacher Höhe auch noch Boni von über 200.000$ auszahlen. Die USA spalten sich immer mehr in ein Land, wo 1% alles haben, 99% aber ärmer und ärmer werden und unter das Niveau von Entwicklungsländern sinken.   Besonders perfid auch Versicherungspolizzen nach dem "dead peasants"-Prinzip
(http://deadpeasantinsurance.com/). Unternehmen wie Walmart haben die Angestellten ohne ihr Wissen zugunsten der Firma lebensversichert - dadurch profitierten sie vom Tod ihrer Angestellten in Millionenhöhe. Beeindruckend waren auch Trumans Visionen von einer sozialen Weiterentwicklung, die allerdings mehr beim Aufbau Europas nach dem Zweiten Weltkrieg, als im eigenen Land in die Verfassungen eingeflossen sind. Die Off-Kommentare sind deutsch synchronisiert, die Originalinterviews in OmU.
Große Hoffnung setzt Moore auf  Barak Obama und einige klassische gewerkschaftliche Aktionen wie Sit-Ins.


*** Humorvoll, aber auch mit lächerlichem Aktionismus, zeigt Michael Moore die Wunden des kapitalistischen Systems und die Folgen der Finanzkrise nach 2007 auf . Die Off-Kommentare sind deutsch synchronisiert, die Originalinterviews in OmU.


Spezials - 70 mm Filme im Leokino

Kritiken des Jahres 2009

Kritiken des Jahres 2008

Kritiken des Jahres 2007

Kritiken des Jahres 2006

Kritiken des Jahres 2005

Kritiken des Jahres 2004

Kritiken des Jahres 2003

Kritiken des Jahres 2002

Kritiken des Jahres 2001

ältere Filmkritiken

zurück