Fimkritken 2010 des FKC Dornbirn
wenn nicht anders angegeben ist Dr. Norbert Fink der Autor
WG = Prof. Walter Gasperi
Urs = Dr. Urs Vokinger
Weitere
Kritiken von Walter Gasperi finden sich
auch hier. (Kultur-Online
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Filmriss weiter klicken)
bestmöglich: *****, **** = herausragend, ***= sehenswert, ** diskutabel, *
mangelhaft, # langweilig, ## = 2 Schlafkissen für besonders langweilige Filme
Hinweis - hier kritisiere ich im allgemeinen aktuelle Filme, die ich irgendwo
auf der Welt sehe, in der Regel nicht jene, die wir sicher ins Programm
aufnehmen oder selbst gezeigt haben.
GURU - Bhagwan, His Secretary & His Bodyguard
Sabine Gisiger und Beat Häner; CH 2010, 98 Min, Englische Originalfassung mit
deutschen Untertiteln
Am Anfang stand in
Bombay ein hellwacher, charismatischer junger Mann, der seine Lehren predigte
und lebte und seinen Fans zuhörte und sie leitete, viele Frauen verliebten sich
spontan in ihn. Als es zu viele wurden, suchten sie einen Ort, wo sie ihr Wirken
ungestört machen konnten und zogen nach Poona in Indien.
Er vermischte sexuelle Befreiung, Spiritualität und gruppendynamische und
psychotherapeutische Techniken, doch bald wurden Dienstleistungen
(„Therapiegruppen“) verkauft und die Mitglieder nach Brauchbarkeit im
ehrenamtlichen Arbeitseinsatz ausgewählt, gleichzeitig wurde die
Rolls-Royce-Flotte des inzwischen vom „Lehrer“ zum „göttlich Erleuchteten“
genannten immer größer. Baghwan (der „Sex-Guru“) wurde immer abgehobener,
scheute den persönlichen Kontakt und dröhnte sich mit Lachgas zu.
Da viele Jünger aus den USA kamen, wo die Hippiebewegung blühte, zog er in die
USA. Dort suchten sie sich in Oregon ein Wüstengebiet aus, das eigentlich nicht
bewohnt hätte dürfen. Nach einem alten Gesetz, wonach 150 US-Bürger eine neue
Stadt gründen können, kaufte Sheela die Big Muddy Ranch und machte dort ein
Sicherheitsgelände daraus, arrangierte Scheinheiraten u.a. Aktionen, wofür die
Sekretärin Sheela dann auch zu einer Haftstrafe verurteilt wurde. Sein Bodyguard
wurde ebenfalls unehrenhaft entlassen, nachdem er Kritik am Baghwan und den
Lebensbedingungen in der Kommune geäußert hatte. Baghwan selbst wurde
ausgewiesen und kehrte nach Indien zurück, wo er im Alter von 59 verstarb.
http://de.wikipedia.org/wiki/Osho
*** guter Dokumentarfilm, der
viel Zeitgeist von damals erklärt, aufgefrischt mit einigen Super-8
Filmausschnitten vom damaligen Kommunenleben der Flower-Power-Generation.
Allerdings waren auch die von dem Korsett bürgerlicher Sexualmoral befreiten
Menschen nicht davor gefeit, sich auf Irrwegen zu bewegen bzw. erkannten sie
nicht, dass die anfangs ehrliche Idee in eine völlig andere Richtung abdriftete,
von der nur der „Erleuchte“ selbst finanziell profitierte.
Un
Profète (Der Prophet)
Jacques Audiard, F 2009, 155 Min
Der in Cannes
ausgezeichnete Gefängnis / Mafia -Film zeigt äußerst drastisch und
hyperrealistisch die Strukturen hinter Gitter.
Der 19 jg. Araber
Malik El Djebena fasst für ein relativ kleines „Ding“ 5 Jahre. Eigentlich will
er unschuldig bleiben und die Zeit möglichst ohne Konflikte hinter sich bringen,
doch es gelingt ihm nicht. Er bekommt sofort die Macht César Luciani´s, eines
korsischen Paten zu spüren, der offenbar der geheime Regent im Gefängnis ist, es
gibt aber noch eine konkurrierende muslimische Bande. Um von ihm beschützt zu
werden, muss er erst mal einen Mord begehen. Doch er lernt im Knast auch Lesen
und Rechnen, dank seiner Intelligenz beginnt er seinen Meister zu übertrumpfen,
auch in Sachen Gewaltausübung und Machtanspruch. Bei seinen Freigängen erlebt er
krasse Dinge und vollstreckt Lucianis Befehle, doch nebenbei kümmert er sich um
seine Drogengeschäfte und die Zeit nach seiner Entlassung.
Am Schluss, als er
entlassen wird, steht er auf einer anderen Seite und kann es Luciani heimzahlen.
Bemerkenswert auch der Abspann: eine völlig neue Version des Weill / Brecht
Songs "und der Haifisch, der hat Zähne" aus der Dreigroschenoper.
**** packender bis
verstörender Film, der zeigt, dass Gefängnisse nicht bessern, sondern aus
kleinen Kriminellen Profis machen. Auffallend innovative Bildsprache!
Oscar-Nominierung,
César- Preise und Großer Preis der Jury in Cannes , Étoiles d'Or …
Das Konzert
Regie: Radu Mihaileanu.
Mit: Alexeï Guskow, Dmitri Nazarov, u. a.
Frankreich/Italien/Rumänien/Belgien/Russland 2009, 122 Min.
Ob es den Andreij Filipov wirklich gegeben hat, konnte ich nicht ergoogeln!
Jedenfalls ist der Film ein groteskes Feel-Good & Happy-End Movie aber nicht
sehr glaubhaft. Mag sein, dass es unter Breschniev in der UdSSR jüdische
Künstler schwer gehabt haben, dass ein Stardirigent von damals aber noch im
heutigen Russland, 30 Jahre später, nur Putzmann im Theater ist und es dann
noch schafft, ohne jede Probe Tschaikowsky´s Violinkonzert mit einer Bande
von Zigeunermusikern, Alkoholikern usw. perfekt hinzukriegen ist eben pures
Gefühlskino. Dass seine gewünschte Starsolistin gar noch seine Tochter sein
soll, und sie es noch nicht weiß, ist eine nette Pointe, doch fehlt gerade
dieser Höhepunkt im Film, dass sie es aus seinem Mund erfährt. Als
Klassikfan ist man hin- und hergerissen zwischen wahnsinnig schöner Musik,
Slapstick á la Police Academy und plumpen antikommunistischen Gags,
die heute sinnlos sind. Natürlich fiebert man mit, wenn der Putzmann Filipov
das Fax klaut, dass ihn aus Moskau mit Stargagen nach Paris einlädt, wenn er
aus Obdachlosen und anderen Underdogs ein Orchester zusammenstellt, Pässe
und Visas fälschen muss und selbst in Paris alle Musiker ihren privaten
Geschäften nachgehen, statt ernsthaft zu proben. Und als die ersten Takte
total daneben gehen, es sich dann aber wunderbar einlenkt, weint man fast
mit. In Zusammenhang mit Klassik wirklich eine neue Idee, die man aber
besser und glaubhafter mit einer Bluesband gemacht hätte.
*** völlig absurde
Slapstick-Geschichte um einen abgesetzten Stardirigenten des
Bolshoi-Orchesters, der als Hochstapler die Chance nutzt in Paris zu alter
Größe und Ehre zu gelangen, mit seiner unbekannterweise eigenen Tochter als
Solistin. Für Klassikfans ein Spaß!
Jud Süss – Film
ohne Gewissen
Deutschland/Österreich, 2010;
Regie:Oskar Roehler
Tobias Moretti (Ferdinand Marian), Martina Gedeck (Anna Marian), Moritz
Bleibtreu (Joseph Goebbels), Justus von Dohnányi (Veit Harlan) u.a.
„Jud Süss“, eines der erfolgreichsten antisemitischen Machwerke des Dritten
Reiches hatte am 24.9.40 seine Deutschlandpremiere, 60 Jahre später blickt
nun Oskar Roehler auf die Entstehungsgeschichte des Filmes zurück. 1940
durften Juden keine Rollen mehr in Film und Theater spielen, die KZ waren in
Bau und die Vernichtung der Juden in Planung bzw. schon im Gange.
Marian ziert sich lange die Rolle im Film anzunehmen, obwohl ihn Goebbels
persönlich dazu drängt, als er doch zustimmt, versucht er den Juden
möglichst menschlich und sympathisch zu spielen, um die böse Wirkung des
Filmes zu entschärfen. Doch vergebens: der Film hatte die Wirkung Hass gegen
die Juden zu schüren nicht verfehlt und SS-Soldaten sahen sich durch den
Film zu ihren Verbrechen motiviert; als Marian dies sieht, ergibt er sich
dem Suff.
Der Film wurde bei der Berlinale ausgebuht, es wird im angekreidet, dass
vieles nicht den historischen Tatsachen entspricht: so ist seine Frau im
Film eine Halbjüdin und wird eiskalt ins Gas geschickt, so gibt es einen
Juden namens „Adolf Wilhelm Deutscher“, den die Marians verstecken und der
eines Tages vom BDM-Zimmermädchen verraten wird und am Ende macht Marian mit
einem Auto betrunken Selbstmord. Es fragt sich, ob diese „dramaturgischen
Freiheiten“ wirklich nötig waren und ob sie nicht die gesamte
Glaubwürdigkeit des Filmes in Frage stellen.
Dabei wird gut der Meinungsterror der Nazis, deren Methoden und Ideologie
gezeigt; allerdings auch mit der Gefahr für die heutige Jugend, sie recht
lässig, schick und gut gestylt darzustellen, hübsche Frauen und echte Kerle
in tollen Uniformen und irgendwie ein wieder modern aussehendem Ambiente.
Unbestritten sind die schauspielerischen Leistungen von Moretti und Gedeck,
Bleibtreu hat die Sprache Goebbels gut nachgeahmt und überzeichnet den
Schauspieler Geobbels. Überhaupt sind Goebbels und andere Nazi-Schergen ja
recht lustige, lebensfrohe Kerle, die Alkohol und noch mehr die Frauen
lieben (es muss ja nicht die eigene sein) und auch Marian nutzt jede
Gelegenheit.
Der Film ist spannend und unterhaltend, überzeichnet aber bis zur Groteske,
etwa wenn Marian bei Bombenalarm mit der Frau eines Nazis statt in den
Luftschuftbunker in ein höher gelegenes Zimmer geht, wo sie unter der
Kulisse des Bombenhagels und der Flak-Lichter von ihm als vermeintlich
besonders potenten Juden es besorgt bekommen will.
Der Film ist farblich desaturiert und in den Farben der ersten
Agfacolor-Filme der Ufa gehalten, recht authentisch nachgestellt sind die
scheinbaren Original-Szenen aus dem Film.
*** Alles in allem eine
durchaus provokante Auseinandersetzung mit dem damaligen Hetzfilm, dessen
Aufführung immer noch verboten ist, der aber im Internet leicht zum Download
gefunden werden kann.
INFERNO - L'ENFER
D'HENRI-GEORGES CLOUZOT
F2009, Regie: Serge
Bromberg, Ruxandra Medrea; mit Romy Schneider und Serge Reggiani
Ein Leckerbissen für Filmhistoriker und alle an Filmgeschichte
Interessierten ist dieser Film. Clouzot, einer der besten Regisseure seiner
Zeit ("Lohn der Angst") erhielt ein praktisch unlimitiertes Budget, um mit
Romy Schneider 1964 den Film "L´enfer-die Hölle" zu drehen. Es sollte darum
gehen, jemand mit experimentellen Mitteln darzustellen, der an einer
pathologischen Eifersucht leidet und sich und seiner Frau so das Leben zur
Hölle zu macht. Ein junges Paar betreibt ein Hotel an einem See, darüber
eine riesige Eisenbahnbrücke. Jeden freundlichen Blick zu den Kunden wertet
er als Beweis für ihre angebliche Untreue, als sie mit einem mit aufs Boot
geht und Wasserski fährt, dreht er durch...
Romy Schneider sehen wir in ziemlich lasziven Szenen: nackt an
Eisenbahnschienen gefesselt räkelt sich Romy Schneider vor einem
heranrasenden Zug; Lasziv raucht sie in die Kamera; Erotisch lachend lässt
sie Champagner überlaufen. In keinem anderen Film gab die damals 26 Jahre
alte Schauspielerin so viel von sich preis wie hier und streift sich das
"Sissy" Image ab.
Clouzot machte hunderte von Probeaufnahmen, teils in SW, teils wurden
Farbtricks ausprobiert, z.B. sollte das Blau eines Sees blutrot werden,
damit die Gesichter aber natürlich aussehen sollten, wurden sie invers
(=blau) geschminkt. Elemente der Op-Art wurden eingebaut.
Clouzot ging hart mit seinem Team um, da er nicht gut schlafen konnte,
weckte er oft nachts um 2 seine Mitarbeiter, wenn ihm wieder was eingefallen
war, 3 verschiedene hochkarätige Kamerateams waren im Einsatz, und das Team
war unter Druck, weil der See, an dem sie drehten, abgelassen und in einen
Stausee verwandelt werden sollte.
Die ganze Arbeit wurde ein Desaster, als ihm der Hauptdarsteller entnervt
davon lief, erlitt Clouzot einen Herzinfarkt und das teure - von Columbia
finanzierte Projekt scheiterte. Über 50 Jahre schlummerten die Filmrollen
mit über 15 Stunden Material im Archiv, wurden nun gesichtet und in diesem
Film verarbeitet. Originalton war aber kaum vorhanden, ein Tonband beweist
aber, dass er elektroakustische Musik zu seinen Filmtricks verwenden wollte.
Seine übertriebene Präzision und sein Drang, überall selbst dabei zu sein,
verdammten die jeweils anderen zwei Filmteams zu wenig Produktivität.
Es ist einer der teuersten Filme, die nie herauskam.
*** Man kann sich gut vorstellen, welches
Meisterwerk der Film hätte werden können. Mittelding aus Doc und
Kompilation.
Reinhold Bilgeri, A, D 2010,
141 Min.
Erna von Gaderthurn, eine 41 jg Lehrerin, die ihren Mann im Krieg verloren
hat, zieht entgegen des Wunsches ihrer Mutter nicht nach Innsbruck, sondern
nach Blons ins Große Walsertal um dort zu unterrichten. Völlig overdressed
wird sie von einem Militärjeep der französischen Besatzungstruppen ins
Gemeindeamt gebracht, wo auch die Schule untergebracht ist. Bald spürt sie
selber die patriarchalischen Strukturen im Dorf. Zwei verfeindete Männer
werben um sie: der ebenfalls blaublütige Baron, der dem Tal einen
Lawinenschutz auf seinen Grundstücken verweigert und der rebellische
Lehrerkollege Casagrande, der gerne "Negermusik" (Jazz) auf dem Saxophon
spielt. Er ist auch ein Lawinenexperte und warnt vor der herannahenden
Katastrophe - am 11.1.1954 gehen mehrere Lawinen nieder und begraben
das Dorf unter sich, über 70 sterben. Auch Casagrande, von dem sie schwanger
ist, stirbt in ihren Armen an den Folgen der Lawinen.
Das tragische an dem Film ist, dass Bilgeri nichts loslassen konnte und
alles, Szene für Szene, einpacken wollte und dabei jede Sekunde mit Musik
zupflastert. Der wohl preisgekrönteste österr. Regisseur Michael Haneke
hingegen verwendet keine Filmmusik, außer man sieht musizierende Menschen im
Film. Auch in den Dogma-Filmen war Background Filmmusik verpönt. Nicht nur,
dass das, was er filmisch nicht auszudrücken vermag, durch einen Kommentar
aus dem Off erklärt werden muss, am penetrantesten ist die Musik, kaum ist
der Dialog zu Ende schiebt er den Schieberegler hoch und deckt alles zu. Von
Mozart bis Vivaldi im Hause des Barons, vom Bolero beim Sex im Heustadel bis
zu Bill Haley beim Silversterfest. Dass dabei auch Grammophone und
Volksempfänger einen brillanten Stereosound hatten, ist mir neu, ebenso
hatten die Postautos damals Wiener W-Nummern und keine V-Nummern... Auch war
das Große Walsertal damals nicht mit störungsarmer UKW versorgt, sondern mit
der guten alten Mittelwelle, (was er erst auf der Hütte richtig zeigt).
Der im Fernsehformat 16:9 und nicht etwa im cinephilen Cinemascope gedrehte
Film ist zwar nicht langweilig und zeigt einiges aus Vorarlberg und der
damaligen Zeit, so richtig mitfühlen kann man die Katastrophe, die am Anfang
schon an Hand alter Wochenschauen vorweggenommen wird, nicht. Emotional wird
er erst, nachdem die Lawine abgegangen ist.
Unklar ist auch, warum Erna immer wieder wie eine Modepuppe den Einladungen
des Herrn Barons - einmal sogar auf einen Sekt auf der Hohentwiel (!)
- folgt.
Körbersee und Rappenlochschlucht müssen auch noch als Naturschönheiten des
Großen Walsertals herhalten, doch gibt er dies im Nachspann zu. Auch ist die
Erna, gespielt durch die Ehefrau Bilgeris nicht unbedingt fehlbesetzt, aber
zu dominierend ins Bild gesetzt. Etwas mehr Distanz zum Buch, zur Musik und
auch zur Hauptdarstellerin hätte dem Film gut getan, nach dem Motto, weniger
ist manchmal mehr.
* 1/2 Weder reiner Heimatfilmkitsch, noch spannender Katastrophenfilm, sondern
eine völlig überfrachtete Beziehungsgeschichte mit dem Hintergrund der
historischen Lawinenkatastrophe von 1954.
etwas schärfer ausgefallen ist die Meinung meines Stv. Obmannes:
Walter Gasperi kritisiert: "Der
Atem des Himmels" von Reinhold Bilgeri
Antonio Naharro, Álvaro Pastor,
Spanien 2009, 105 Min, spanische OmU.
Daniel ist der erste Mann in Spanien, der es
trotz Down-Syndrom geschafft hat, einen akademischen Abschluss zu absolvieren.
Er bekommt einen Job in einer Beratungsstelle für Behinderte und wird gleich mal
mit einem Kunden verwechselt. Er verliebt sich in die Kollegin Laura, die ihn
zwar nicht als "Behinderten" behandelt, aber vorerst vor der letzten Konsequenz,
mit ihm wie mit vielen anderen auch, ins Bett zu gehen, zurückschreckt.
Der Film zeigt die enormen Vorurteile der Gesellschaft gegen diese Menschen auf.
Laura und Daniel verhelfen anderen Behinderten zu einem normalen Sexualleben,
aber wie schaut es bei ihnen selber aus?
Der Film wird nie schlüpfrig oder gar peinlich und ist an sich ein normal
gestrickter Liebesfilm, weder mit einem kompletten Happyend noch mit offenem
Ausgang, Lauras Entscheidung in der Silvesternacht ist schwer nachvollziehbar,
aber dramaturgisch eine gute Lösung.
*** das Thema Vorurteile gegen
Menschen mit Behinderung und deren Recht auf eine normale Sexualität wird sehr
stimmig behandelt.
Rune Denstad
Langlo
Norwegen 2009, 78 Min., Norwegische Originalfassung mit deutschen
Untertiteln
Mit Anders Baasmo Christiansen, Kyrre Hellum, Marte Aunemo u.a.
Im Stile von Kaurismäki wird die Geschichte des depressiven, an
Panik-Attacken leidenden Jonar erzählt. Er arbeitet – kaum motiviert – an
einem Skilift und besucht die ambulante Tagesklinik der Psychiatrie. Hat er
sich einmal hingelegt, ist er zu müde noch eine Karte auszugeben.
Er erfährt, dass er im hohen Norden einen Sohn haben soll und fährt mit dem
Ski-Scooter dahin, da er in Öffis die Panik bekommt, auch Tunnels sind im
sehr suspekt.
Sein einziger Proviant sind Schnaps und Zigaretten.
Schneeblind geworden, pflegt ihn ein einsames junges Mädchen; er übernachtet
in Notunterkünften, die er manchmal brennend verlässt, trifft viele skurrile
Gestalten, so einen lebensmüden Greis, fröhliche Panzerfahrer, die wegen ihm
ein Manöver abbrechen mussten, und einen Jungen, der Angst vor Homosexuellen
hat und sich den Alkohol über die Kopfhaut einziehen lassen will; sie weisen
Jonar wieder den Weg zurück ins Leben...
In der Tat reißt er sich mit dieser wagemutigen Reise aus seiner Depression
und erreicht früher oder später sein Ziel. Ist es das Licht oder die Umwelt,
die ihn zu Aktivitäten zwingt – im Sinne der „erlernten Hilflosigkeit“?
Ein Road- oder
besser Schnee-Movie aus dem hohen Norden, leider handwerklich nicht immer
ganz perfekt.
***1/2 antidepressiv
wirkendes nettes, kleines und billiges Road-Movie um einen schwer
depressiven Mann mit Panikattacken, der am liebsten schläft, raucht und
Schnaps trinkt, aber doch auf eine heilsame Reise aufbricht.
The
Ghostwriter
Roman Polanksi, F, D; GB 2010, Cinemascope, 128 Min.
Der Film wurde in Berlin mit dem Silbernen Bären für die beste Regie
ausgezeichnet. Ein Kritiker meinte dazu, das sei wohl aus Solidarität mit
dem in der Schweiz unter Hausarrest stehenden Starrregisseur geschehen. Man
kann zwar zwischen den Eingebunkerten im Film und dem Hausarrest Polanskis
in Staad einige Parallelen ziehen, letztlich ist der Film aber schon vorher
gedreht worden, getreu der Vorlage von Richard Harris’ Polit-Thriller The
Ghost (2007)
In der Tat ist der Film sehr konventionell gemacht, konventioneller als
manch innovativer Tatort-Krimi. Er rollt eine Verschwörungstheorie auf. Der
britische Premier Adam Lang ist „rein zufällig“ der eines Tony Blair sehr
ähnlich, der einem Ghostwriter seiner Memoiren diktiert. Der erste ist dabei
auf mysteriöse Weise umgekommen, und auch für den zweiten wird es nicht sehr
gesund werden.
Doch beginnen wir von vorne: in der Anfangsszene sehen wir eine Fähre, aus
der ein PKW herausgeschleppt wird, weil der Fahrer offenbar nicht gekommen
ist, wenig später sehen wir eine Leiche, die an den Strand geschwemmt wird.
Der Verleger sucht einen Nachfolger für diesen Ghostwriter, der die Memoiren
des britischen Ministerpräsidenten schreiben soll. An sich sind sie fast
fertig, bedürfen nur noch eines Feinschliffes. Dazu soll ein politisch
unbedarfter Brite herangezogen werden. Auf einer kleinen Insel in den USA
unweit New Yorks soll er in Ruhe und unter strengsten
Sicherheitsvorkehrungen arbeiten können, der Premier und seine Frau sind
auch anwesend. Allmählich kommen heftige Proteste von Friedensbewegten auf.
Das Den Haager Tribunal klagt ihn wegen Kriegsverbrechen an, weil er
Terrorverdächtige der Folter („Waterboarding“) in Gefängnisse des CIA
übergeben habe.
Als der Ghostwriter wieder mal seine Unterkunft wechseln will, entdeckt er
per Zufall einige Fotos, die beweisen, dass Lang gelogen hat, als er sagte,
er sei aus Liebe zu Ruth erst der Labour Partei beigetreten. Er recherchiert
auch den Tod seines Vorgängers, die Unfallthese wird unglaubwürdig; er
deckte vielmehr auf, dass Lang und seine Frau Ruth Agenten des CIA gewesen
sind. Schließlich hat er sich während seiner Amtszeit ja förmlich darum
bemüht, der Bush-Regierung zu Willen zu sein…
Einigermassen spannend ist er ja und auch handwerklich recht versiert, das
Ende ist nur zum Teil unerwartet. Auch der kurze Seitensprung von Ruth mit
dem Ghostwriter ist so ein allzu konventionelles Schnörksel. Pierce Brosnan
spielt den manchmal cholerisch aufbrausenden Lang, Ewan McGregor den Ghost.
*** gute Unterhaltung mit politischem Hintergrund, aber kein innovatives
Kino.
Nanga Parbat
Joseph Vilsmaier, D 2009, 104 Min.
Am Ende des westlichen Himalaya im nördlichen, pakistanisch kontrollierten Teil
von Kashmir gelegen, ist er mit 8125m die größte sichtbare, freistehende
Massenerhebung der Erde. Die Südtiroler Brüder Günther und Reinhold_Messner durchkletterten
1970 als 23 bzw. 25 Jährige zum ersten Mal die gesamte, äußerst schwierige
Rupal-Wand (Südwand), die höchste Steilwand der Erde. Reinhold Messner
entschied, über die Diamirwand auf der Westseite abzusteigen. Damit gelang 1970
die erste Überschreitung des Nanga Parbat – und nach dem Mount Everest 1963 die erst zweite Überschreitung
eines Achttausenders überhaupt. Beim Abstieg kam Günther Messner ums Leben.
Soweit die bekannten Fakten.
Der Film von Vilsmaier zeigt die Bergsteigerkarriere der beiden Messner Brüder,
es beginnt dabei der waghalsige Sport an der Kirchenmauer und in den
heimatlichen Dolomiten, schon hier träumten sie vom schwersten Berg der Welt,
dem Nanga Parbat. Der deutschnational angehauchte DDr. Karl Herrligkoffer
leitete schon 1934 eine deutsche Nanga-Parmat Expedition und führte diese mit
militärischem Drill und ebensolcher Logistik, Reinhold Messner setzte aber auf
Spontaneität, je nach Wetter- und anderen Bedingungen, auch reizten ihn
Alleingänge. 1970 schlossen sich die Messner-Brüder der Herrligkofer-Spedition
an, als diese zu scheitern drohte entschloss sich Reinhold zum Alleingang, doch
sein Bruder kletterte ihm nach. Beide wussten, dass der Rückweg nicht gesichert
war, völlig erschöpft starb dabei Günther, im Film an einer Lawine.
Gerade diese Szene ist dramaturgisch nicht besonders geglückt, plötzlich sind
die beiden Brüder nicht mehr dicht beieinander, Günther, schon völlig
durchfroren und erschöpft, ruht sich etwas aus und Reinhold geht weiter, dann
die Lawine.
Herrligkofer hat Reinhold Messner bis zu seinem Tode nicht verziehen, seine
Befehle nicht befolgt zu haben und polemisierte in Vorträgen und Büchern gegen
ihn. Dennoch ließ er seine Expedition als Erfolg feiern. Karl Markovics als Dr.
Herrligkofer spielt exzellent, Florian Stetter und Andreas Tobias verkörpern die
Messners, Lena Stolze ihre Mutter. Die Musik von Gustavo Santaolalla ist etwas
monotoner Retro-Rock.
** Zwar mit eindrucksvollen Bergaufnahmen
und sich an die wesentlichen Fakten haltend, dennoch nicht besonders
spannender Film (zumindest für einen "Coach-Potato" wie mich)
KAPITALISMUS - EINE
LIEBESGESCHICHTE
Michael Moore, USA 2009, 120 Min.
Michael Moore, der als kritischer US-Bürger die gröbsten
Auswüchse des "American Style of Life" aufzeigt, ist kein Sozialist oder
gar Kommunist, vielleicht sympathisiert er mit einigen sozialdemokratischen
Ideen. Er bietet deshalb seinen "fellow citicens" keine Alternative an. Zu
Beginn des Films vergleicht er die USA mit dem alten Rom, das an seiner Dekadenz
und Bürgerferne zugrunde gegangen ist. Durch eine Art Putsch durch die
Finanzmacht Goldman Sachs, aus dessen Bankhaus die meisten Finanzminister
gestellt wurden, musste der Staat in der Finanzkrise Milliarden Dollar zur
Rettung der Banken bereitstellen - Geld zur Rettung notleidender Betriebe oder
Bürger gab es dann nicht mehr. Dass daran Moores Lieblingsfeind G.W. Bush
Hauptschuld war, ist eh klar.
Es wird immer wieder gezeigt, wie durch haarsträubende Finanzprodukte Bürger um
ihr eigenes Haus kommen und gnadenlos delogiert werden. Indessen sinken die
Löhne ständig, so gibt es Piloten, die für 16.000$ im Jahr arbeiten und um
Lebensmittelgutscheine betteln müssen. Auch der Pilot, der die heldenhafte
Landung auf dem Hudson River zustande brachte, muss sich mit 20.000$
Jahreseinkommen zufrieden geben, die Banker hingegen lassen sich neben einem
saftigen Grundgehalt in zehn- bis zwanzigfacher Höhe auch noch Boni von
über 200.000$ auszahlen. Die USA spalten sich immer mehr in ein Land, wo 1%
alles haben, 99% aber ärmer und ärmer werden und unter das Niveau von
Entwicklungsländern sinken. Besonders perfid auch
Versicherungspolizzen nach dem "dead peasants"-Prinzip
(http://deadpeasantinsurance.com/).
Unternehmen wie Walmart haben die Angestellten ohne ihr Wissen zugunsten der
Firma lebensversichert - dadurch profitierten sie vom Tod ihrer Angestellten in
Millionenhöhe. Beeindruckend waren auch Trumans Visionen von einer sozialen
Weiterentwicklung, die allerdings mehr beim Aufbau Europas nach dem Zweiten
Weltkrieg, als im eigenen Land in die Verfassungen eingeflossen sind. Die
Off-Kommentare sind deutsch synchronisiert, die Originalinterviews in OmU.
Große Hoffnung setzt Moore auf Barak Obama und einige klassische
gewerkschaftliche Aktionen wie Sit-Ins.
*** Humorvoll,
aber auch mit lächerlichem Aktionismus, zeigt Michael Moore die Wunden des
kapitalistischen Systems und die Folgen der Finanzkrise nach 2007 auf . Die
Off-Kommentare sind deutsch synchronisiert, die Originalinterviews in OmU.
Spezials - 70 mm Filme im Leokino
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