Diagonale 2005 in Graz

www.diagonale.at

Dr. Norbert Fink berichtet


Am ersten frühlingshaften Tag des Jahres – ein wolkenloser Flug mit intersky von FDH nach GRZ um 29,-- netto.

Dann einen halben Kilometer zur Bahnstation (kleine Haltestelle für Bummelzüge) gerannt – mit den 2 Jungs von derAlpinale –und von Bahnhof Graz ins „Daniel“ gleich rechts davon. Hier „Glück im Unglück“ – wegen der DJ-night für die Diagonale sei schrecklicher Lärm bis 5 Uhr früh zu erwarten und alle Gäste wurden umquartiert – zum selben Preis ins renommierte „Weitzer“  im Zentrum. 

Der erste Abend mit dem ungarischen Film (Austauschprogramm der nationalen Festivals) war schon eine angenehme Überraschung. Gestochen scharfes 35mm und eine recht makabre Story. Und wie es sich gehört, danach ein anständiges Buffet des collegium hungaricum und anregende Gespräche bei köstlichem ungarischem Rotwein mit den Leitern des ungarischen Kulturinstitutes.
Auf der Suche nach „echtem Film“ auch Celluloid wurde ich überraschend fündig und konnte problemlos die Vorführung unscharfer Videos bojkottieren, sieht man von einer Ausnahme ab..


DALLAS PASHAMENDE
Robert Adrian Pejo
A, H, D 2005, 95 min, echtes 35mm, dolby digital

Schon die Entstehungsgeschichte des Filmes wäre ein „make of“ wert, ein Krimi.

Vor acht Jahren wurde das Buch geschrieben – eine Orpheus und Eurydike – Geschichte auf einer Müllhalde der Roma in Rumänien. Was soll das Thema, Kusturica hat sich eh schon mit den Zigeunern befasst !

Schließlich nach 5 Jahren, finden sich 3 Produzenten in A, H und D und gehen ans Werk.
Die Location soll in Rumänien in einer aufgelassenen Kiesgrube sein, eine Müllhalde und das Dorf seiner Bewohner inklusive Bär – soll aufgebaut werden, nachdem es völlig unmöglich, gefährlich und ungesund wäre, auf einer echten Müllhalde zu drehen, wo in der Regel rund 1500 Roma davon leben, nie hätte man alle beschäftigen können und nur einen Teil davon zu bezahlen hätte zu Animositäten geführt.
Also professionelle Hauptdarsteller gesucht und in Siebenbürgen auch echte Roma-Laien inkl. Kinder.

Dann wurde das Dorf in einer Kiesgrube in RO gebaut und die Dreharbeiten begannen. Doch die gefielen dem damaligen ro. Ministerpräsident nicht; unter der Vorwand des Umweltschutzes wurde das Projekt gestoppt. Dann ging der deutsche Produzent MTM bankrott und die Negative wurden im Arri-Kopierwerk nicht herausgegeben.
Nun  musste alles nach Ungarn verlegt werden, wo nur eine wesentlich kleinere Kiesgrube gefunden wurde.
Dorka Gryllus wurde beim Budapester Filmfestival mit dem Hauptpreis für die beste Darstellerin ausgezeichnet, in Berlin lief der Film im Panorama.
Pejo selbst ist rumänischer Abstammung und lebt in Wien und NY.
Der Film ist im Original in ungarisch, rumänisch und roma. Die Roma würden selbst auch so eine Mischung sprechen und sich verstehen.


Der Lehrer Radu, kehrt nach 15 Jahren wieder in sein Dorf auf einer Müllhalde, genannt Dallas, zurück, da sein Vater gestorben ist. Das einzige Erbe ist ein alter Tanzbär.
Er trifft auch seine Jugendliebe Oana, die inzwischen von einem anderen einen Jungen bekommen hat. Zwar wird ihm gleich sein Auto „verwertet“ und unbrauchbar gemacht, doch immer mehr legt er seinen Ekel vor dem erbärmlichen Dasein auf dem Müllhalde zurück.
Er wird in gefährliche Aktionen verstrickt und einer kriminellen Tat verdächtigt, auch bekämpft er die Mafia und sorgt dafür, dass die Dorfbewohner aus ihrer Recyclingarbeit einen anständigen Lohn erhalten, ohne Zwischenhändler im Mercedes.

Als seine Verlobte kommt und Oana sehr eifersüchtig wird, beschließt er im Dorf zu bleiben und dort eine Schule aufzumachen. Doch es kommt unweigerlich zum tödlichen Konflikt, als er Oana erklärt, sie zu lieben und  zu ihr ziehen zu wollen…

**** herausragende Mileustudie über das Leben der Roma in Rumänien, melodramatisch und doch realistisch aufgearbeitet


Másnap – after the day before

Attila Janisch, H 2004, 120 Min, echtes 35mm, dolby

Der englische Titel verrät den Schlüssel zur Entwirrung des Krimis und sagt uns, dass die Geschichte keineswegs linear erzählt wird.

Ein Fotograf kommt in eine gottverlassene Gegend in der Puszta, da er dort ein Haus geerbt hat. Der Lastwagenfahrer, der ihn mitnimmt, lädt ihn mit einem gewissen Respektabstand vor dieser unheimlichen Gegend ab und gibt ihm noch ein altes Fahrrad mit Hilfsmotor mit, für das er freilich keinen Benzin bekommen wird. Er trifft auf eine verlotterte Gegend und Menschen, die sich abgrundtief gegenseitig hassen und extrem misstrauisch sind. Und alle saufen.

Als er bei einer Lehrerin übernachten kann, will ihn ihre halbwüchsige Tochter verführen und bittet ihn, seine Mutter umzubringen. Er weist sie ab. Dann wird diese ermordet aufgefunden - vergewaltigt und dann über eine Klippe gestürzt.

Ein Junge im Dorf wird der Tat verdächtigt, doch es gibt noch andere mit einem Motiv, ja sogar er selbst könnte es gewesen sein …
*** schräger, makabrer Film mit herausragender Fotografie und einem extrem komplexen Erzählstil, der einen mehrere Tage danach noch beschäftigt und immer wieder neue Lösungsansätze einfallen lässt. Gestochen scharfes 35mm – ein inzwischen seltener Genuss!


Crash Test Dummies

Jörg Kalt, A 2005, 95 Min, 35mm, dolby digital

Der Eröffnungsfilm überzeugte nicht wirklich und enttäuschte auch nicht völlig. Eine etwas konstruierte Geschichte um den 1.5. 04, als 10 neue Staaten Mitglied der EU wurden. Nicolae und Ana , ein Liebespaar aus einer trostlosen Plattenbausiedlung in Bukarest fahren mit dem Bus nach Wien, um dann ein gestohlenes Auto zu überführen, schnelles, leicht verdientes Geld, denken sie sich. Doch es kommt natürlich einiges dazwischen.

Sie kommen am Bahnhof Wien Mitte an, der schlimmer ausschaut als der ihrige Bukarest, sie schlafen in den Wiener Parks und trennen sich, er trifft eine reiche Wienerin, und sie wird nach einem Autounfall von einem einsamen jungen Mann aufgenommen, der Kaufhausdetektiv ist und sie schon seit längerem via Überwachungskamera beobachtet. Bei ihm wohnt noch eine rauschgiftsüchtige Frau, die mit Crash Test Versuchen etwas Geld verdient.

Als er mit dem gestohlenen Auto mit ihr in den Urlaub nach Rumänien fahren will, treffen sich an der Grenze alle wieder. Und in Ungarn wird der EU Beitritt gefeiert…

Doch die wahren Crash Test Dummies sind Nicolae und Ana, ihre Energien werden in Wien jäh abgremst, doch beide kommen mit leichten bis mittleren körperlichen Verletzungen davon…

** ansehbare Unterhaltung mit einigen Einblicken in die neurotische, aber vielleicht doch irgendwie charmante Wiener Seele.


Tödlicher Umweg

A, D, GB 2004, 89 Min, 35mm, dolby digital

Adrian, ein junger Schauspieler fährt von Kärnten nach München, dort will er sich bei einem Casting vorstellen. Bei einer Tankstelle steigt plötzlich Julia, eine attraktive Blondine unbemerkt in sein Auto ein. Nach wenigen Kilometern überholt sie ein Wagen und zwingt sie zu halten, es ist der (scheinbare) Mann von Julia. Julia wechselt den Wagen und steigt um, nach wenigen km trifft Adrian auf einen Autounfall und einen schwer verletzten Mann. Er fährt zurück ins Dorf und holt Hilfe. Als er mit dem Gendarmen zurückfährt, ist kein Unfallwagen und keine Spuren mehr da, plötzlich taucht das Auto von Julia und ihrem Mann auf, er hält sie an, sie geraten ins Schleudern und kommen von der Strasse ab. Der Gendarm beschuldigt nun Adrian den Unfall verursacht zu haben, alle drei müssen im Dorf übernachten, Julia will nun plötzlich wieder bei Adrian schlafen, sie gesteht ihm, den Unfall auch gesehen zu haben, doch könne sie und ihr Begleiter es nicht zugeben. Adrian versucht zu flüchten und macht sich nur noch verdächtiger. Am nächsten Morgen wird die Leiche gefunden, es ist der Mitwerber von Adrian beim Casting. Adrian wird des Mordes beschuldigt.
Nun wird es immer actionreicher und turbulenter, bald merken wir, dass es nicht mehr mit rechten Dingen zugehen kann, vielmehr ist alles von außen als Reality Show inszeniert, überall sind Kameras und alle, außer Adrian bekommen ihre Regieanweisungen. Adrian wird immer weiter in die Enge getrieben, eingesperrt, und soll soweit gebracht werden, einen Mord zu begehen, was er auch macht, doch die Pistole ist mit Filmkugeln geladen. Doch Julia steigt aus dem makabren Spiel aus. Es kommt zu einem gewaltigen Showdown und es geschieht noch ein echter Mord aus Rache an der Perfidie, so mit Menschen zu spielen, nur um die Zuseher vor den Fernsehbildern etwas zu unterhalten.

*** actionreicher Thriller, handwerklich gut gemacht und spannend, der die immer schamlosere Art der „Reality Shows“ aufzeigt und so in sich selbst Medienkritik zu üben versucht.


Filmhimmel Österreich 001

Das Filmarchiv Austria, welches im Gegensatz zum Filmmuseum die Aufgabe hat, alte Filme aufzubewahren, zu konservieren, zu retten und zu restaurieren, wagt sich mit dieser Serie in den Bereich der Neugestaltung.
So sollen in 100 Programmen zu 90 Min. jeweils verschiedene Filme (Spiel-, Kurz-, Experimental- und Werbefilme) aus einer Epoche wieder neu aufgelegt werden.
Dabei soll keine Bewertung und Kategorisierung der Film als Kunstwerke oder nicht stattfinden, sondern nur der Zusammenhang zwischen den Filmen und ihrer Zeit hergestellt werden.
Beim ersten Beitrag wurde allerdings aus den ältesten im Filmarchiv gefundenen Filmbildern „Footage-Montagen“ gemacht und so ein neuer Experimentalfilm kreiiert. Dem folgten 2 stumme Dokumentarbeiträge aus dem 1. Weltkrieg und den Arbeiteraufmärschen der 1. Republik, „Hof ohne Mann“ aus der Nazizeit (D1944)  und der erste Akt von „die Deutschmeister“ (Ernst Marischka, A 1955) - ein früher Farbfilm mit der jungen Romy Schneider, die als naives Mädchen vom Lande in Wien in einen Maskenball der Reichen und Adeligen gerät. Immerhin bewies diese Rolle, dass die analoge Filmtechnik von 1955 in Punkto Bildqualität und Schärfe noch bei weitem den auf Video gedrehten und auf Film umkopierten (FAZ) modischen Machwerken von heute überlegen ist!
Dem folgten 2 schräge Experimentalfilme „das Museum“ von Werner Kofler (1993), wo Ton und Bild nichts miteinander zu tun haben und „Outer Space“ von Peter Tscherkassy (1999).

Dieser erste Beitrag umfasst also 100 Jahre Filmgeschichte und soll Lust auf die anderen „Filmhimmel“ Zusammenstellungen machen, verschreckt aber mit seiner Betonung des Experimentalfilmes vielleicht etwas die „normalen“ Zuseher, andererseits mögen diese vielleicht Jahrzehnte später diese eher verstehen.

** interessanter Ansatz, Filmgeschichte lebendig darzubieten.


Hotel
A 2005, 82 Min, 35mm, dolby digital

Jessica Hausner

Der Film wurde nicht nur auf der Diagonale uraufgeführt, es wurden auch Events auf diesen Film abgezielt, er erhielt auch – für mich nicht ganz nachvollziehbar – den Hauptpreis. Wurde etwa bei der Preisvergabe "Gender mainstreaming" betrieben ? Trotzdem - es ist ein guter Film (aber mit Abstand der beste war für mich Dallas Pashamende)

Irene kommt als Rezeptionistin in das große „Waldhaus“-Hotel, wo nicht sehr viel los, manchmal ein Business-Seminar, manchmal ein Seniorentanzkurs und ein paar ältere Gäste. In der Nähe gibt es eine sagenumwobene Grotte, wo einst eine Kräuterhexe wirkte, die im 16. Jhdt. auf dem Scheiterhaufen verbrannt wurde; es sollen schon, mehrere Menschen spurlos verschwunden sein, späte Rache der damals hingerichteten Hexe?

Anfangs erscheint alles normal, wenn auch nicht super. Irene findet von ihrer Vorgängerin die Brille, mehr weiß man nicht mehr von ihr. Auch riecht es eigenartig in ihrem Zimmer. Eines Tages, als sie alleine im Hallenbad schwimmen geht, wird ihr die Halskette gestohlen und ihre Brille liegt zerbrochen am Boden. Die Halskette taucht im Wald wieder auf...

Hausner lässt nun mit Geräuschen und absolutem Minimalismus eine Spannung aufkommen.
Einmal tauchen Kriminalpolizisten auf, durchkämmen den Teich und finden „etwas“. Am Schluss geht Irene in den Wald, sie verschwindet aus dem Bild, man hört zwei Schreie.

Alles weitere läuft im Kopf des Zusehers ab.

*** durchaus spannender, minimalistischer Thriller, der jedoch nur wenig Aussage hat.

http://www.coop99.at/hotel-derfilm/german/offwego.htm


Das Kurz"film"programm "airborne" sah ich am Sonnrag nachmittag auch noch. Es waren alle gebeamte Videos; der erste handelte von Jugendbands im Burgenland. Der zweite "ich rede wie ich will" von Radio Orange, einem freien, multikulturellen Radio in Wien. Dieser Beitrag über iranische, türkische und afrikanische RadiomacherInnen war an sich recht interessant und endete mit einem Satz in breitem Vorarlberger Dialekt aus dem Munde eines Türken.
Der letzte Beitrag "thats life", war ein Musikvideo, nicht mein Musik - Geschmack. 


Und so urteilte die Jury :
 

Am Samstag Abend wurden die heurigen DIAGONALE Preise im Schlossbergrestaurant vergeben:

Großer Diagonale-Preis

Hotel von Jessica Hausner

Diagonale-Preis Innovatives Kino

Hat Wolff von Amerongen Konkursdelikte begangen? von Gerhard Friedl

Diagonale-Preis der Jury der Diözese Graz-Seckau

FORST von Ascan Breuer, Ursula Hansbauer, Wolfgang Konrad in Zusammenarbeit mit Philipp Haupt, Julia Lazarus, Ben Pointeker

Lobende Erwähnung Echos von Michael Ramsauer

Diagonale-Preis der Jugendjury

Echos von Michael Ramsauer

Lobende Erwähnung F.A.Q Frequently Asked Questions von Stefan Hafner und Alexander Binder

Thomas-Pluch-Drehbuchpreis 2005

Hotel von Jessica Hausner

Thomas-Pluch-Drehbuchförderpreise 2005

Echos von Michael Ramsauer und Crash Test Dummies von Jörg Kalt

Carl Mayer-Drehbuchpreis 2005

Ma Folie von Andrina Mracnikar und Serviam - Ich will dienen von Martin Leidenfrost und Ruth Mader

Carl Mayer-Drehbuchförderpreis 2005

Vanitas von Christian Frosch

Lobende Erwähnung

Der erste Tote meines Lebens von Bernhard Seiter

Schnittpreis des Verbandes Film- und Videoschnitt

Denise Vindevogel für Darwins Nightmare

VAM Preis Innovative Produktionsleistung

Coop 99

AAC-Preis 2005

Johannes Hammel und Rafael Ortega für Volver la Vista

BKA Würdigungspreis für Filmkunst 2004

Mara Mattuschka

BKA Förderungspreis für Filmkunst 2004

Joerg Burger und Josef Dabernig

Details (pdf)


Norbert Fink

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