Diagonale 2004 - die Originale - in Graz
5.-7.3.04
Von Norbert Fink (nobi (klammeraffe) fkc.at)
Einleitung
Ich war die letzten drei Tage auf der diesjährigen Diagonale in Graz, die nun,
wenn auch ohne Subvention von Herrn Morak (aber mit Geld der Städte Graz und
Wien) doch stattfand.
Der Eröffnungsfilm ANTARES wurde allgemein zerrissen, mir wurde berichtet er
soll "furchtbar" gewesen sein.
Viele Filme waren von Super 16 aufgeblasen (noch immer besser als von Video
gefazt) oder gleich schon digital projeziert (im Falle von digital Beta
schon ziemlich gut), auf Surround-Qualität im Ton wird aber immer mehr Wert
gelegt, sogar schon bei "Amateurvideoformaten".
Kurz vor der Aufführung abgesetzt werden musste der Film
"Go back to Africa", den ein Schwarzer mit
einer sg. Brillenkamera aufgenommen hatte, um die Reaktionen der Österreicher
auf seine Hautfarbe zu dokumentieren. Die ohne ihr Wissen gefilmten drohten zu
Klagen, schließlich entschied das Diagonale Team, dass das Recht vor dem eigenen
Bild vor der künstlerischen Freiheit steht.
Details
Ein Publikumserfolg
war jedenfalls "Nacktschnecken", wenngleich von einigen Cineasten als zu
oberflächlich und schlampig gemacht kritisiert.
Hier nun meine subjektive Beurteilung jener Filme, die ich gesehen habe:
Beginnen wir aber mit dem Siegerfilm der Diagonale, dem "handbikemovie"
von Martin Bruch
(Faz von Dig8, aber THX-Ton).,
99 Minuten, A 2003
Martin Bruch
Foto:
Norbert Fink
Der Haller Tonmeister Martin Bruch erkrankte an MS und bewegt sich nun in einem
Mittelding aus Rollstuhl und Fahrrad mit Handantrieb, eben einem handbike, fort.
In seinem formal strukturierten Film (außer einer Szene dauert jede der 56
Einstellungen 99 Sek., der gesamte Film 99 Min.), der Film kommt fast ohne
Dialoge aus und ist aus dem Blickwinkel seiner Kamera im Helm aufgenommen (ziemlich
nervig, dass immer die Bremsdrähte ins Bild kommen). Wir schauen uns mit ihm
Wien, Paris, NY, London, Tirol, Istanbul u.a. Städte an, wobei er Wege befährt,
die eigentlich nicht für dieses Verkehrsmittel geschaffen wurden, abwärts rast
er in atemberaubendem Tempo, was dem Film einige Spannung verschafft. Immer
wieder bedrohlich die Autos, die rechts und links und an ihm vorbeirauschen.
Großer Wert legt er auf den Surround-Ton, der die Autos laut von hinten nach
vorne rasen lässt.
Das Bild ist mit einem festen Winkel aus seinem Helm aufgenommen, die Qualität
recht amateurhaft und z.T. unscharf. Tropfen auf der Linse werden bewusst
toleriert.
Bruch zeigt welche Mobilität selbst ein Schwerbehinderter haben kann, dennoch
ist es kein Film über seine Behinderung. Der Film suggeriert, er wäre fast ohne
Helfer und Pannen ausgekommen (nur ganz am Anfang bittet er bei einer
Tankstelle um Luft und nur einmal bliebt er hängen), in Wahrheit brauchte er
sehr wohl Helfer, wie auch im Nachspann angegeben.
Die Begründung der Jury ist nachvollziehbar und es ist beileibe kein Mainstream,
eher ein Experimentalfilm mit ziemlichen Längen. Die Idee ist aber neu und mutig
und Bruch kann den Preis sicher besser gebrauchen als z.B. ein Haneke.
*** innovativ
Jesus, Du weißt (Ulrich Seidl)
FAZ auf 35mm, 87 Min, A 2003
Sein neuer Opus ist mit weitem Abstand der schwächste Film von ihm ! Stilistisch
bleibt er der absolut starren Weitwinkel-Kamera treu, die einfache Menschen in
ihrer Not zeigen, doch drehte er diesmal auf dem billigerem Videomaterial, was
ein unschärferes Bild bedeutet.
Er ist diesmal weniger distanzlos, entlarvend schon gar nicht und an den
Grundfesten der Religion rüttelt er auch nicht. Seine Menschen sind 6 streng
gläubige Katholiken, deren Lebensmittelpunkt Jesus ist. Sie kommen mit ihrem
Liebesleid in die Kirche und reden mit Jesus. Erheiternd auf das Publikum wirken
eher die Banalität der Probleme, die vor kitschigen Nazarener-Bildern
vorgetragen werden, subjektiv mag der Schmerz der Betroffenen schrecklich sein,
es sind aber keine wirklich existentiellen Probleme, ja nicht einmal sexuelle
Sünden, die da "gebeichtet" werden: die Eheprobleme einer Frau, die mit einem
muslimischem Pakistani verheiratet ist; ein Jugendlicher, der sein Zimmer nicht
aufgeräumt hat, weil er stattdessen in die Kirche ging und deswegen getadelt
wurde; eine vom Mann verlassene Frau, die Rachegedanken hegt und auf ihrem
Untreuen einen teuren Detektiv ansetzte; eine hübsche junge Frau, die Heirat und
Kinder möchte, deren Verlobter aber lieber ins Kloster geht...
* ziemlich banales Portrait von 6 Menschen, die Jesus um Rat bitten.
Struggle (Ruth
Mader)
(erhielt den Preis für die beste Kamera)
35mm blowup, 74 Min, A 2003
Der auf Super 16 - also echtem Film - aufgenommene Streifen zeigt mehrere Formen
der Armut in Österreich, dabei werden keine Extreme gezeigt, auch keine
besonders entwürdigenden Arbeiten, sondern einfach niedrig bezahlte Jobs, wie
sie nur die Arbeitsimmigranten aus dem Osten bei uns in Österreich annehmen. Es
beginnt mit einem Bus voller Polen, die zur Erdbeerernte im Akkord zu uns
kommen, die erhofften 50€ pro Tag sind nicht zu erreichen, weil es immer wieder
stark regnet. Ewa und ihre Tochter verlassen die Gruppe vor der Grenze und
begeben sich auf den Arbeitsstrich; sie jobt in einer Putenfabrik, putzt den
Reichen den Swimming Pool oder bei einem Souvernirhändler.
Nun folgt ein Bruch: die nächste Person ist ein geschiedener Immobilienhändler,
der emotional verarmt ist und auch zu seiner Tochter nicht mehr wirklich guten
Kontakt hat, er begibt sich in die SM- und Swingerszene, wo er letztlich auf Ewa
trifft.
In
dichten, dokumentarisch exakten Bildern wird eine triste Realität aus unserem
"reichen" Land gezeigt, eine Form der Ost-West Annäherung.
Wieweit die beiden Bereiche in einen Film gehören, ist fraglich und regt zu
kontroversen Diskussionen an. Die gute Kameraarbeit ist aber unbestritten.
*** sehenswert
Wolfszeit
(Michael Haneke)
A/F/D 2003, 113 Min, 35mm
Ganz bewusst nennt Haneke nicht die Ursache der Katastrophe. Fest steht nur, dass kein Strom mehr aus der Steckdose und kein Wasser mehr aus der Leitung kommt und auch das Grundwasser verseucht ist. Er macht kein US-Katastrophenfilm mit klarer Ursache und einem Helden, der die Welt wieder in Ordnung bringt. Ganz im Gegenteil: Haneke zeigt sozusagen in einer Laborsituation, wie eine Grenzsituation zuerst individuell-familiär gelöst werden möchte, gescheitert, kommt es zu einer Gruppensituation, die genau so wenig das Problem zu lösen vermag und letztlich ist es die Notlage einer riesigen Masse, wo das Gesetz des Stärkeren regiert.
Eine Familie flüchtet aus der Stadt in ihr Ferienhaus auf dem Lande, dort angekommen, ist es von anderen schon besetzt, die den Vater erschießen, das Auto und die Nahrungsreserven rauben und Mutter mit den beiden Kindern vertreiben. Diese suchen Zuflucht in einem Heustadel, der jedoch abbrennt und hoffen an einer Bahnstation auf einen Zug, der sie von der immer schlimmer werdenden Situation befreien möge.
Tauschwirtschaft, Prostitution und Gewalt bestimmen die Lage. Ein Junge will
sich verbrennen, weil ein absurder Heilsprediger dies empfiehlt, ein Mann rettet
und tröstet ihn. Die Schlussszene lässt alles offen - eine Kamerafahrt auf eine
grüne Landschaft aus einem Zug.
**** genialer Film, der erfreulicherweise (nach Benny ´s Video und Funny Games)
nicht noch weiter an der Gewaltschraube dreht, sondern nur die psychologischen
Reaktionen von Menschen in unserer hochindustrialisierten Gesellschaft im Falle
einer Notsituation aufzeigt.
Accordion Tribe (Stefan Schwietert)
CH/A 2004, FAZ auf 35mm, 90 Min.
Das Akkordeon galt als typisches Instrument der Volksmusik (a lá Oberkrainer) und wurde an seriösen Konservatorien deshalb nicht unterrichtet. 5 höchst unterschiedliche Menschen aus 5 Ländern versuchen nun durch kunstvolle Akkordeaon Musik das Instrument aus dem Sumpf der volkstümmlichen Musik herauszuholen und schaffen erregende Klanglandschaften. Darunter ist auch der blinde Wiener Otto Lechner, der vom Jazz und Blues her kommt, eine Frau aus Finnland, ein Alt-68er aus Slowenien, ein Ami usw. Der Film zog mich nach anfänglicher Skepsis immer mehr in den Bann. Leider ist der Sound nicht überragend abgemischt, die einzelnen Instrumente werden stereophon kaum auseinander gehalten. Auch kommt kein Tango Element vor (Astor Piazzola-Fans werden enttäuscht, aber der spielt ja das verwandte Bandoneon und kein Akkordeon).
*** sehenswert für Musikfreunde, rein filmisch nicht herausragend.
Höhepunkt für mich war ohne Zweifel neben "Wolfszeit":
Hurensohn (Michael Sturminger)
A/ LUX 2004, 35mm, 86 Min, Dolby digital
Ozren kommt als Kind einer Jugoslawin, Silvija in Wien zur Welt. Sie arbeitet als Liebesdienerin in einer Nachtbar, sagt aber ihren Sohn sie sei Kellnerin. Abend passen Tante Ljiljana oder Onkel Ante auf den Buben auf. Als er von den anderen Burschen als "Hurensohn" gehänselt wird, fragt er natürlich nach, was das eigentlich sei. Er merkt, dass seine Mutter oft nach der Arbeit einen jeweils anderen Mann mitbringt, doch sein Onkel Ante, zu dem Ozren eine sehr innige Beziehung hat und der Strizzi Peppi von gegenüber klären ihn auf. In der Sonderschule verliebt er sich unglücklich in Snezana, doch Serben und Bosnier dürfen sich wegen des blöden Krieges auf dem Balkan ja nicht mehr lieben. Als er die Schule abgeschlossen hat, kann er bei Peppis Bar aufräumen und aushelfen, er lernt dabei seine Mädels kennen. Seine Mutter überlässt ihm alleine seine Wohnung und zieht als geheime Edelprostituierte in eine feine Innenstadtwohnung, ohne ihm ihre Adresse zu sagen. Ozren spioniert sie aus und will ihr zum Geburtstag ein wertvolles Geschenk überbringen. Bei ihrer "Arbeit" gestört, kommt es ungewollt zur Tragödie.
Eine glaubhafte,
keineswegs moralinsaure und stimmige Mileauschilderung. Herzensgut ist der alte
Kommunist, Onkel Ante hingegen streng gläubig die Tante und die Tätigkeit der
immer so sexy und schön angezogenen Mama ein Mysterium.
**** herausragend in der Charakterisierung der
Protagonsiten und in Kameraarbeit, auch die Musik ist bemerkenswert
Kurzfilme
Vom Technischen her waren die Kurzfilme recht unterschiedliche Qualität. Video
ist halt noch kein echtes digitales Kino der Zukunft, wenngleich das DigiBeta
Format schon recht akzeptable Projektion erlaubt, aber noch nicht die Super16
oder gar 35mm Qualität erreicht. Überraschend war wie oft die Jungfilmer sich
mit dem Thema Tod befassten.
.
"Wegen Daniel"
zeigte das zufällige Treffen zweier Menschen vom Lande in einem
Baumarkt. Frau Ebenau hat vor einem Jahr ihren Sohn bei einem Verkehrsunfall
verloren, der Schuldige blieb unausgeforscht. Sie nimmt einen jungen Mann mit
nach Hause, der soeben beim Bundesheer abgerüstet hat und sich eigenartig
verändert hat. Als sie an der Unfallstelle vorbeifahren, reagiert dieser höchst
eigenartig...
****
Was ich noch sagen wollte
Persönlich gehaltenes Video über eine Tante, die als Nonne im Kloster
lebte.
**
Therimintone (Ingo Webr, 14")
(sw) in Stummfilmmanier gedreht (die technische Umsetzung ist nicht immer
gelungen) Tone sollte eigentlich in die Schul gehen, doch er spielt lieber auf
dem Theremin (ein elektron. Instrument), Vater träumt von Mutter, die im See
ertrunken ist..*
O! Fortuna !
Witzige Miniaturen von den Schwierigkeiten des Alltages mit einem Baby.
***
Von bis
Eine Familiengeschichte um den Tod im Krieg und Frieden*
Felix Ende (Thomas Schwendemann, A/D 2004, 40" Super 16 blowup)
Selbst schon als Dreijähriger mit dem Tod seiner Großmutter, die ihn beaufsichtigen sollte, konfrontiert, verliebt sich Felix als Rot-Kreuz-Helfer in eine junge Frau im Koma. Almodovar (hable con ella) lässt grüssen.
***
Retrospektive
Scampolo, ein Kind der Straße (A 1932, 86
Min)
Billie Wilder und Max Kolpe waren die Autoren, Hans
Steinhoff der Regisseur in diesem frühen Tonfilm und einem der letzten Filme,
die in Wien vor Übernahme durch die Nazis entstanden ist und bevor die Künstler
nicht arischer Abstammung fliehen mussten (Dolly Haas emigrierte 1936)..
Die Hauptdarstellerin Dolly Haas verkörperte bereits 1932 den heute modischen
Frauentyp: kurze Haare (Bubikopf), wenig Busen, maskulines Gehabe. Die
herzerfrischende Komödie mit dem unvermeidlichen Happy End zeigte das Leben des
armen Straßenmädchens Scampolo, welches in einer Telefonzelle schläft und ab und
zu Wäsche in eine Pension austragen darf. Dabei verliebt sich in einen
insolventen Ex-Banker, doch auch der Buttler der Herberge und ein wirklich
reicher Banker werben um sie. Ein von ihr eher zufällig aufgeschnappter
Börsentipp erlöst Ersteren von den Schulden und sie von der Einsamkeit. ***
Tribute to Goran Markovic
Serbie Year Zero
(F, Serbien 2001, 80 Min, 35mm)
Die rein pesönlichen Erfahrungen des yugoslavischen Regisseurs Goran Markovic
vor und nach dem Fall Milosevic´. Eine Abrechnung mit der Propagandamaschine des
serbischen Staatsfernsehens. Er war einst ein heiterer Tito-Pionier und wurde
zuletzt von dessen Frau schwer bedroht, er gilt als serbischer Kritiker und
Intellektueller, aber deswegen noch lange nicht als Freund der Nato-Bomben. In
der Phase, als Milosevic sein zerbombtes Rest-Land noch immer Yugoslavien nennt,
kann er nur noch ein Tagebuch schreiben, aber keine Filme mehr drehen oder
Theater inszenieren.
** Bildgewaltig in Szene gesetzt,
aber nur für gut Informierte auch verständlich.