Filmfestival San Sebastian 2000
Kritiken von Dr.Urs Vokinger
Aunque tú no lo sepas (Was Du nie wusstest); Juan Vicente Córdoba; Spanien

Ein Liebesfilm mit (leider) einem Happyend. Im Jahre 1975 kreuzen sich die Wege von Lucía und Juan. Der junge und sensible Juan verliebt sich hoffnungslos in Lucía; sie hat aber kein Gehör für ihn. Sie zeigt ihm auch die kalte Schulter, als er sie während einer Demonstration gegen das Franco-Regime aus der Patsche hilft. Siebzehn Jahre danach treffen sie sich wieder. Diesmal verliebt sich Lucía in Juan. Doch Juan erinnert sich an die ehemalige erfolglose Liebe und an die Wunde, die sie ihm geschlagen hatte. Er zögert lange und entscheidet sich am Ende doch für die Liebe zu Lucía.

Ein braver Film. Die Geschichte entwickelt sich allerdings etwas langsam und hängt manchmal etwas durch. Das Happyend ist auch nicht förderlich für einen guten Film und verleiht der Liebesgeschichte eher den Nachgeschmack eines Groschenromans. Der Film ist trotzdem nicht ganz 'tränen-sicher'. **


76 89 03; Cristan Bernard, Flavio Nardini; Argentinien

Die ersten beiden Zahlen entsprechen wichtiger Jahreszahlen der argentinischen Geschichte. Im Jahre 1976 ergriff das Militär die Macht in Argentinien, 1989 wurde Menem zum Präsidenten gewählt. Die Zahl 03 steht symbolisch für die Zukunft dem Jahr 2003.
Nun, so tiefgründig wie man es von den Jahreszahlen zu meinen glaubt, ist der Film nicht. Die drei Jahreszahlen stehen für die Ausschnitte der Lebensgeschichte dreier Jungs, die mit dem Pornosternchen Wanda Manera eine Nacht verbringen möchten und dabei bereit sind jeden Preis zu bezahlen. Jedesmal wenn sie das Geld zusammen haben (einer verkauft sogar sein Auto), wird es ihnen ohne Gegenleistung abgeknöpft.
Dem Film wurden faschistische und frauenfeindliche Züge angelastet. Ich sah den Film eher als eine Parodie auf drei Männer, die ihre sexuellen Fantasien um jeden Preis ausleben wollen und dabei von ihren Geschlechtsgenossen nur ausgenützt werden.
Ich war kurzzeitig bei diesem Film eingenickt. #


El Factor Pilgrim; Santi Amodeo, Alberto Rodrigez; Spanien

Eine Legende über die Beatles: Ihre bekannten Songs wurden nicht von ihnen selbst geschrieben sondern von einem David Pilgrim kurz vor Ende der fünfziger Jahren. Ein wichtiges Beweisdokument dazu haben vier junge Männer in London ohne es zu wissen auf dem Flohmarkt erworben. Ein Interessent meldet sich bei ihnen und ist bereit viel Geld zu bezahlen, das die vier Jungen schlussendlich doch nicht bekommen.
Ein Film der einiges zu wünschen übrig lässt, inhaltsmässig und schauspielerisch. Ein amateurhafter Film. -*


Las Huellas Borradas (Die ausgewischten Spuren); Enrique Gabriel; Spanien

Ein braver spanischer Film gedreht von einem argentinischer Regisseur.
Manolo, ein ausgewanderter Spanier und nun bekannter Schriftsteller Südamerikas, benützt die letzte Gelegenheit das spanische Dorf seiner Jugend zu besuchen bevor es durch den Bau eines Staudammes unter Wasser gesetzt wird. Bei seiner Ankunft bereiten sich die Dorfbewohner für den grossen Umzug vor. Erinnerungen an die damalige Jugendzeit werden wach. Man erfährt dies und jenes und anderes, was selbst Manolo nicht wusste. Viele Dorfbewohner fühlen sich ab der scheinbaren kleinen Entschädigung von der Regierung betrogen, sie können aber nichts mehr dagegen tun.

Ein schöner, poetischer (allerdings nicht ohne Floskeln) Film mit einem gut verständlichem Castellano. ***


Sin Dejar Huellas (Ohne Spuren zu hinterlassen); María Navaro, Mexico

Ein Road-Movie zweier gegensätzlichen jungen Frauen. Durch einen Zufall treffen sie sich: Aurelia die einfachere und bürgerliche, ist mit ihrem Kleinkind vor ihrem Mann auf der Flucht. Ana, die hübsche Kunsthistorikerin, ist auf der Flucht vor der Polizei; sie handelt mit gefälschten Tonfiguren der Mayazeit.
Das Geschick und Schicksal des weiblichen Zweiergespann und die blinde Verfolgungswut wird den Männern in diesem Film zum Verhängnis. Sie verlieren ihr Leben. Der Mann Aurelias rasst mit seinem schnellen Auto in einen See und ertrinkt, und der Polizist, der Ana verfolgt, wird vom Aurelias Bruder erschossen. Happyend am Ende des Films. **


Amores Perros (Hundeliebe); Alejandro González Iñárritu, Mexico

Ein Film von zweieinhalb Stunden Länge. Mann könnte meinen, dass der Film zu lang geworden sei. Aber weit gefehlt! Es gab keine Minute Langeweile!
Amores Perros sind drei Lebensgeschichten die sich kurz bei einem Autounfall kreuzen. In allen drei hat der Hund eine grössere Bedeutung und beeinflusst das Schicksal ihrer Besitzer. Octavio, der mit seinem angeschossenen Kampfhund Cofi von den Verfolger flüchtet verursacht den Unfall an einer Strassenkreuzung. Er stösst mit der schönsten Frau Lateinamerikas zusammen. Der Autounfall und weitere Umstände mit ihrem Hund Richie führen dazu, dass der Miss Lateinamerika ein Bein amputiert werden muss. Chivo, ein ehemaliger Guerillakämpfer und jetzt Berufsmörder, der zufällig mit seinem Schubkarren und seinen Hunden an der Unfallstelle vorbeiläuft bergt Octavios Hund. Er pflegt ihn wieder gesund aber der Hund beisst alle seine anderen Hunde zu Tode.
Schnitt, Rhythmus und Geschichte sind einfach genial. Volle Sternenzahl: ****


A la Vertical de l'Été (Hochsommer); Tran Anh Hung, Vietnam

Von der Geschichte her eher ein langweiliger Film: Drei Geschwister und ihre Probleme mit ihren untreuen Ehemännern oder Geliebten. Die Geschichte entwickelt sich sehr langsam und in der Hälfte des Films hat man das Gefühl, dass sich überhaupt nichts mehr bewegt. Doch endlich gegen Ende scheint doch noch was umwerfendes zu passieren. Aber auch das geht daneben: die geglaubte Schwangerschaft der jüngsten Schwester stellt sich als ihre erste Periode heraus!
Es scheint, dass der Regisseur seine ganze Energie in die Bildgestaltung eingesetzt hat. Paradiesische Aufnahmen reihen sich aneinander: prachtvolle Farben und eine Bildgestaltung die an Stilleben der Malerei erinnern. Es scheint als ob jedes Staubkorn, sei es noch so klein und unwichtig, an seinen Ort plaziert wurde um auch jeder Einstellung eine Harmonie in Farben und eine Ausgewogenheit in Formen zu geben.
Inhalt ein Schlafkissen, Aufnahmen vier Sterne! # / ****


Marta y Alrededores (Marta und ihre Bekannten), Nacho Pérez de la Paz, Jesús Ruiz, Spanien

Ein Film über pupertierende Dreißigjährige. Man sollte glauben, dass man nach 30 mit allen Wassern gewaschen sein sollte, dass die Vernunft der Teenagervorstellungen über Liebe und Zusammenleben den Vorrang genommen hat. Dem sei in diesem Film aber nicht so. Eine Gruppe Dreißigjähriger spricht über Beziehungen und kämpft um einen "knackigen" Lebenspartner. Alle haben schon einen Geliebten, aber noch heimlich einen weiteren aus der Gruppe dazu; außer Marta, die erst mit dreißig nach dem Tod ihrer Mutter die Liebe langsam zu entdecken beginnt.
Der Film lebt von den stereotypischen Vorstellung von Liebe und Verführung: Knackiger Hintern und grosser Busen bei den Frauen; Muskeln und kraftvolle Potenz bei den Männern. Wer nicht so denkt, muß wahrscheinlich homosexuell sein. Der Horizont des Filmes reicht nicht über den Bettrand hinaus!
Ein FKC-Sternchen trotz den knackigen Frauen. *


Lista de Espera (Warteliste), Juan Carlos Tabío, Kuba

Ein kubanischer Film, in dem Realität und Traumwelt ineinander fließen. Eine Gruppe von Reisenden bleibt wegen einer Buspanne in einer Station stecken. Der lange Aufenthalt entführt sie in eine kollektive Traumwelt, in der alle anpacken und gleich gestellt sind. So wird in dieser Traumwelt das trostlose Stationsgebäude mit Hilfe aller in ein Paradies umgewandelt: Die Wände werden frisch gestrichen, aus herumliegenden Material werden Tisch und Stühle improvisiert und sogar eine Bibliothek entsteht aus den Bücher, die in einem alten Schuppen gefunden werden. Der ganze Innenraum der Station wird mit Blumen geschmückt. Allerdings bleibt dies nur ein Traum (eines idealen Kommunismus). Beim Erwachen am folgenden Tag trifft sich jeder mit der alltäglichen Realität kubanischen Lebens wieder.
Ein schöner Film, allerdings nicht so originell wie Fresa y Chocolate des gleichen Regisseurs. **


Cien Años de Perdón (Hundert Jahre der Vergebung) José Glusman, Argentinien

Weil die Eltern des Tyrannen Hugo die Miete ihres desolaten Hauses nicht mehr bezahlen können, schlägt Hugo den Besitzer nieder und sperrt ihn ein. Von der Mutter des Besitzers versucht Hugo 50'000 $ für die Freilassung zu erpressen. Dabei zeigt sich die scheinbare kränkliche und mittellose Mutter als kalt, berechnend und vermögend. Sie handelt das Lösegeld auf 30'000 $ herunter. Bei der Geldübergabe wird Hugo angeschossen und seine Schwester, die sich mit dem Besitzer verbündet hatte, verschwindet mit dem Geld.
Der tyrannische Hugo wird hervorragend gespielt. Der Film lebt von seiner Figur. Die Ungewissheit und Angst des Zuschauers, ob Hugo in seinen Wutausbrüchen den Besitzer tötet, bleibt bis zum Ende bestehen.
Ein gelungenes Erstlingswerk des Regisseurs! ***


England! - Achim von Borries, Deutschland

Der Unfall des Atomkraftwerkes Chernobyl hat die Gesundheit der beiden russischen Freunde Victor und Valeri ruiniert. Vor seinem Tod möchte Valeri noch England besuchen und seine Freund in Berlin sehen. Doch endet seine Reise vorerst in Berlin, wo er erfahren muss, dass Victor an den Folgen der radioaktiven Überdosis gestorben ist. Pavel, ein noch unbekannter Kunstmaler, stellt ihm das ehemalige Zimmer von Victor als Unterkunft zu Verfügung. Zwischen Pavel und dem gutmütigen Victor entwickelt sich eine enge Freundschaft. Victor setz seine ganze Energie ein um Pavel als Kunstmaler bekannt zu machen. Als Pavel endlich bei einer bekannten Galeristin ausstellen darf, begleitet er Valeri nach England. Valeri stirbt aber vor der Kanalüberquerung. Pavel legt Valeri auf eine Luftmatratze und schiebt ihn in den Ärmelkanal Richtung England.

Der Film ist gut, und als Diplomfilm verdient er eine Anerkennung, d.h. ein Sternchen mehr. ***


Sexy Beast; Jonathan Glazer, England

Gangster kennen keinen Ruhestand! So geht es dem Engländer Gal, der sich seit einigen Jahren in Spanien mit seiner Frau Deedee aus dem Gangstermilieu zurückgezogen hat. Doch Don Logan erhält von Teddy den Auftrag ein Team für einen Bankraub in London zusammenzustellen. Gal scheint für diese Aufgabe unentbehrlich zu sein. Der ehrgeizige und brutale Don Logan reist nach Spanien um Gal für diese Unternehmen zu gewinnen. Doch Gal lehnt ab. Don Logans Gewalt und Aggressivität wird zu einem Verhängnis: er wird von Deedee erschossen. Um den Mord an Don Logan im Gangstermilieu zu vertuschen, muss Gal am Bankraub teilnehmen. Alles läuft wie geplant, aber Gal muss ohne Anteil der Beute nach Spanien zurückkehren. Teddy war auf seine Schliche gekommen; er hat erfahren, dass Don Logan nie aus Spanien zurückgekehrt ist.
Äussert gut inszeniert, hervorragende Aufnahmen und spannender Inhalt. Don Logan wirkt sehr überzeugend. Volle Sternenzahl. ****


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