Viennale 2003


für den FKC berichtet Mag. Irmgard Stefani-Spiegel

 

Nur einige Tage in Wien - und dennoch stand eine Handvoll der Highlights und Must-Sees der Viennale 03 auf meinem Programm. Mit Bedauern hatte ich allerdings festgestellt, dass mein zeitliches Pensum einfach nicht ausreichte, um Werke wie Coffee and Cigarettes von Jim Jarmusch, einem der bedeutendsten Vertreter des American Independent Cinema, Dogville - den neuesten Geniestreich Lars von Triers - oder das Screening der Eröffnungsgala, Lost in Translation - den zweiten Langfilm von Sofia Coppola - zu sehen. Bleibt nur, die Hoffnung nicht aufzugeben, dass diese Filme einen Verleih in Österreich finden und in naher Zukunft auch in weiteren österreichischen Kinos gespielt werden.

 


 

Hier das Wichtigste zu den Filmen:

 

 

Pas de repos pour les braves

Alain Guiraudie, Frankreich/Österreich 2003

 

Basile erzählt einem Bekannten von seinem Traum: Ihm sei Fafatao-Laoupo erschienen, eine Art Geist - und untrügliches Zeichen, dass sein nächster Schlaf der letzte sein werde. Was folgt, ist Basile’s Irrfahrt zwischen Sinn und Unsinn des Lebens, ausgelöst durch seine Entscheidung, nicht mehr zu schlafen. Nachdem das gesamte Dorf Basiles einer Mordserie zum Opfer fällt, wird klar, dass er der Täter ist. Als ihm ein freier Journalist und der Zuhörer seiner Ausführungen über Fafatao-Laoupo auf die Spur kommen, tötet er auch die beiden. Mit der nächsten Szene sind wir in einem neuen Film, in dem Basile Hector heißt, und der kurz zuvor verstorbene Journalist wieder unter den Lebenden weilt. Die weiteren Beteiligten gehen ihren mehr oder weniger legalen und lebenserfüllenden Beschäftigungen nach - mafia-ähnliche Machenschaften oder eine Kombination aus Schafhirte und Rockmusiker - während Basile alias Hector mit dem Flugzeug zur nächsten Bar im Ort fährt. Spätestens zu diesem Zeitpunkt vermag man nicht mehr mit Klarheit zu sagen, ob Guiraudie einen Krimi, einen Film Noir oder ein Roadmovie geschaffen hat. Gerade die Mischung aus diesen Genres scheint jedoch beabsichtigt zu sein. Vereint werden diese Gegensätze durch das Deutlichwerden der Übertragbarkeit der Lebensmuster dieser Menschen in ihren kleinen Dörfern im Südwesten Frankreichs auf die globale Ebene: Die Orte heißen „Memfisse“ oder „Bairoutte“, und auch in den Metropolen dieser Welt gibt es keinen Schlaf für die Tapferen, die auf ihrer Suche nach dem nächsten „Abenteuer“ niemals ruhen dürfen.

 

 

The Cooler

Wayne Kramer, USA 2002

 

Bernie Lootz arbeitet in Las Vegas. Er begleicht die Schulden, die er bei Casino- und Hoteleigentümer Shelly Kaplow vor Jahren gemacht hat, indem er mit seinem sprichwörtlichen Pech eine allzu große Glückssträhne der Casinobesucher regelmäßig beendet. Seine Fähigkeiten als Cooler gehen aber verloren, als er sich in die Kellnerin Natalie verliebt und ihm dadurch plötzlich das Glück hold zu sein scheint. The Cooler versucht in manchen Momenten, die düstere Stimmung von Leaving Las Vegas nachzuempfinden, schafft es jedoch nicht mit letzter Konsequenz. Schade, dass Kramer sich für die Variante des Happy Endings entschieden hat, das künstlich und aufgesetzt wirkt. Besonders herausgehoben wurde zwar die schauspielerische Leistung von William H. Macy als Pechvogel Bernie, jedoch war Alec Baldwin die Rolle des zumindest moralisch heruntergekommenen, kettenrauchenden und unendlich viel Scotch trinkenden Casinochefs wie auf den Leib geschrieben. Sehr authentische Darstellung beider Schauspieler.

 

 

Lo-du moo-bi (Road Movie)

Kim In-Sik, Südkorea 2002

 

Suk-Won, ein Makler, der sein gesamtes Vermögen aufgrund eines Börsenkrachs verliert, landet auf der Straße und findet sich unmittelbar in der Gemeinschaft der Obdachlosen in der U-Bahn von Seoul wieder. Dae-Sik, ein Aussteiger und gewissermaßen „Boss der Penner“, nimmt sich seiner an. Die beiden brechen zu einer Reise auf, um ihrer Ziellosigkeit zu entkommen und Arbeit zu finden. Suk-Won, der von seiner materialistischen Frau fallengelassen wird, bemerkt zunächst nicht, dass sich Dae-Sik nur um ihn kümmert, weil er sich in ihn verliebt hat. Dennoch ist er ihm für seine Fürsorge dankbar. Nach zwei Selbstmordversuchen realisiert Suk-Won, welche Beweggründe Dae-Sik hat. Eine Station ihrer Reise führt die beiden zu Dae-Siks (Ex-)Frau und ihrem Sohn, dem alle erzählen, dass Dae-Sik sein Onkel ist, der aber herausgefunden hat, dass er in Wahrheit sein Vater ist. Dank der authentischen Darstellung von Hwang Jung-Min (Dae-Sik) wird deutlich, in welchem Zwiespalt sich Homosexuelle in Asien immer noch befinden. Die Gesellschaft erwartet von ihnen, dass sie heiraten und Kinder zeugen, gleichgültig, welche Folgen dies für alle Beteiligten hat. Der „erste Gay-Film“ aus Südkorea besticht aber auch durch seinen verhaltenen Rhythmus - erreicht durch lange Takes, natürliches Licht und wunderschöne Landschaftsaufnahmen.

 

 

The Brown Bunny

Vincent Gallo, USA/Japan 2003

Soeben ausgezeichnet mit dem FIPRESCI-Preis der Internationalen FilmkritikerInnenvereinigung

 

Written / Produced / Directed / Edited by Vincent Gallo…Drehbuchautor, Produzent, Regisseur, Cutter und Hauptdarsteller in einer Person. Auf diese Weise setzt Gallo das Prinzip des „Author cinema“ um. Die erste Hälfte des Films ist unspektakulär: Unendlich lange Takes dokumentieren die Reise von Bud, der Motorradrennen fährt und sein Motorrad mit einem Kleinbus quer durch die USA nach L.A. bringen muss. Unterwegs trifft er die senilen Eltern seiner Freundin, denen er erzählt, dass sie ein Haus in L.A. haben und dort gemeinsam wohnen. In diesem Haus irgendwo in einem Vorort in den USA steht auch der Käfig des braunen Häschens, dem der Film seinen Titel verdankt. Visuell beeindruckend auch Buds kurzer Motorradtrip in einen Salzsee, den er kurzerhand zum Rennkurs umfunktioniert. Schließlich kommt er in L.A. an, trifft seine Freundin, um sich mit ihr zu versöhnen. Nach dem Treffen, das seinen Höhepunkt in einem eher dem pornografischen Genre zuzuordnenden Blow Job erreicht, wird Bud klar, dass es nur ein Traum war, eine Illusion... Gallo setzt auf Slowness - American Independent Cinema wie es sein soll.

 

 

Elephant

Gus Van Sant, USA 2003

Ausgezeichnet mit der Goldenen Palme in Cannes, 2003

 

Van Sant schildert mit eindrucksvoller Kameraführung einen ganz normalen Tag an einer amerikanischen High School, der jedoch in einem Blutbad endet, als zwei der Schüler schwer bewaffnet in das Schulgebäude eindringen. Die Kamera verfolgt die Wege einzelner Schüler, die dem Zuschauer jeweils am Schnittpunkt erlauben, ein und die selbe Szene aus verschiedenen Blickwinkeln zu sehen. Die Spannung ist von Anfang an hoch, weil niemand weiß, wer Opfer und wer Täter sein wird. Die Kaltblütigkeit des geplanten Killings wird schließlich anhand der Vorbereitungen der beiden Täter deutlich. Sie bestellen die gewünschte Waffe per US Mail Service, legen anhand einer Skizze ihren Weg durch die Schulgebäude fest, und bei der letzten Anweisung des Hauptinitiators an seinen Partner, „And most important: have fun...“, rieselt einem ein kalter Schauer über den Rücken. Van Sant deutet nur vage an, wo Gründe für eine solche Tat zu suchen sein könnten, mangelnde Zeit der Eltern, Ziel- und Trostlosigkeit der Gesellschaft, Gewalt in den Medien, eigene neurotische Gefühlswelt der Jugendlichen. Dennoch bleibt am Ende nur die Frage: „Wie kann es nur dazu kommen?“

 

 

S21, la machine de mort Khmere Rouge

Rithy Panh, Kambodscha/Frankreich 2003

 

Mit seiner Dokumentation wagt sich Panh auf einfühlsame Weise an die Aufarbeitung der Schreckensherrschaft der Roten Khmer in Kambodscha heran. Nachdem Pol Pot 1975 an die Macht gekommen war, fielen fast zwei Millionen Kambodschaner dem Völkermord zum Opfer. Zur Rechenschaft gezogen wurde bislang niemand, die früheren Aufseher in den Straf- und Todeslagern leben in ihren Heimatdörfern Seite an Seite mit den überlebenden Opfern. Zwei ehemalige Insassen treffen in den verlassenen Mauern des Lagers S21 mit einer Gruppe ehemaliger Lageraufseher zusammen. Einer von ihnen wird angesichts des Ortes seiner Folter und Misshandlungen von Tränen überwältigt. Rithy Panh selbst spricht in beeindruckend ruhiger und gefasster Weise mit den früheren Peinigern. Sie empfinden keine Reue für ihre Taten, zumindest zeigen sie sie nicht. Durch eine äußerst effektive Indoktrinierung wurden sie zu bloßen Befehlsempfängern, und ihnen blieb keine Wahl, wollten sie ihre eigene Haut retten. Rithy Panh stellt die Diktatur und ihre Folgen aus menschlicher, persönlicher Sicht dar und schafft damit ein beeindruckendes Filmdokument.

 

 

Szép napok (Pleasant Days)

Kornél Mundruczó, Ungarn 2002

 

Maya bekommt ihr Baby auf dem Boden einer Wäscherei, versteckt hinter Kleiderwägen und Waschmaschinen, wird aber von Péter, Marias Bruder, beobachtet, der Ausgang vom Erziehungsheim hat. Maria, die dort arbeitet, kauft ihr das Kind ab. Péter kommt vom Erziehungsheim nach Hause und arbeitet für den Schrottplatzbesitzer János, der ein Verhältnis mit Maya hat. Als Maya mit Péter flirtet, wirft János beide hinaus. Maya möchte ihren Sohn wieder zurück und bittet Péter um Hilfe, der jedoch auch von seiner Schwester um Unterstützung gebeten worden ist. Was am Ende bleibt, ist die Beziehungsunfähigkeit der Jugendlichen an einem trostlosen Ort ohne Zukunft. Für sie scheint nur Geld und die nächste Gelegenheit zum Sex wichtig zu sein. Das einzig Erstrebenswerte ist, den Ort der Zukunftslosigkeit zu verlassen, aber selbst das gelingt den Charakteren nicht. Kameraführung und meist gedämpftes Licht illustrieren die Orientierungslosigkeit und den Mangel an Perspektive sehr wirkungsvoll.


 

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