47. Festival von Valladolid (Seminci)
ein Bericht von Peter Höfle und Norbert Fink
Seit Jahren informiert sich der FKC über das Filmgeschehen im spanischsprachigen
Raum an den Festivals in Spanien, wir besuchten einige Male San Sebastian, das
größte Festival Spaniens, was aber sehr anstrengend ist. Huelva ist
spezialisiert für Lateinamerika und nach Havanna das bedeutendste Festival für
den iberoamerikanischen Film; diesmal besuchten wir zum ersten Mal Valladolid.
Ein überschaubares Festival ohne großen Starrrummel, mit eiserner Disziplin
(kein Eintritt nach Beginn des Films!). Neben der Werkschau des spanischen Films
mit etlichen Erstlingswerken gab es den Wettbewerb, eine Präsentation des
Polnisches Kinos, arte´s „Grand Format“ Dokus auf Video und das Lebenswerk des
Regisseurs Basilio Martín Patino, der bei und weitgehend unbekannt ist.
Am meisten Furore und die längsten Warteschlangen gab es bei „Amen“ von
Costa-Gavras, immerhin sah sich der Vatikan gezwungen, die Vorkriegsarchive des
Vatikans etwas zu öffnen; dass die kritische Zeit des 2. Weltkrieges weiterhin
verschlossen bleibt, gibt dem Film ja recht- nicht nur der Vatikan, auch die
evangelische Kirche, die BBC und die Amerikaner schwiegen viel zu lange zum
Holocaust an den Juden.
AMEN
Constantin
Costa-Gavras, Frankreich 2002, 130 min, CS, digital
das neue Werk des Altmeisters des politischen Thrillers, Costra-Gavras nach dem
Roman "der Stellvertreter" von Hochhut.
Das Schweigen des Vatikans über den Holocaust wird spannend und imposant
inszeniert geschildert. Gerstein. ein Chemiker, der eigentlich eine mobile
Wasserreinigungsanlage für die Truppen entwickelt hat, kommt wider rechten
Willens zur Waffen-SS; dort wird er Miterfinder des "Zyklon B" Giftgases zur
"Reinigung vor Ungeziefer" (er dachte noch an schädliche Insekten, die SS jedoch
an Juden, Ziegeuner etc.). Eine leicht geistig behinderte Verwandte wird erstes
Opfer der Euthanasie und er helljörig. Als als er den Auftrag erhält die
Qualität des Produktes so zu verbessern, dann man damit rund 10.000 Subjekte pro
Tag/KZ "behandeln" kann, bekommt er Gewissenbisse und bitten die Kirchen um
Intervention. Die evangelische Kirche, der er angehört, kollaboriert offen mit
Hitler, die katholische auch. Doch Ricardo Fontana, ein Jesuitenpater verschafft
ihm Zugang zum Vatikan, wo er als Kronzeuge aussagen kann. Vergeblich. Auch die
Amerikaner und Engländer sind nicht einmal bereit, die Geleise zu den KZ zu
bombardieren. Als die Nazis vor den Augen der Kirch auch aus Rom die Juden in
die KZ verfrachten, geht der Pater freiwillig ins KZ und kommt dort um; Dr.
Gerstein gerät in frz. Gefangenschaft und erhängt sich in der Zelle, nachdem ihm
vorgeworfen wurde, nicht das menschmögliche getan zu haben, um den Holocaust zu
verhindert sein Komplize erhält vom Vatikan die Papiere zur Ausreise nach
Argentinien.
****1/2 herausragend – absolut ein Meisterwerk !
(lief außer
Konkurrenz)
http://www.kamera.co.uk/reviews_extra/amen.php
SALVAJES
Carlos Molinero, 98 Min, E
Wackelige Handkamera. Ein Fremdenpolizist und eine Krankenschwester in Valencia,
deren Nichten sind Neonazis und haben einen schwarzen Asylanten erschlagen... Er
ermittelt gegen sie. Es entwickelt sich eine herbe Liebesgeschichte.
Gewisser Einblick in die untersten sozialen Schichten bietet der Film.
** realistisch, vulgär.
L´ILLA
de L’ HOLANDÈS (La isla de l’holandés)
107 Min,
España
Ein
beachtliches Erstlingswerk von Sigfrid Monleón und einer katalanischen
Theatergruppe. Dumau, ein junger Lektor wird in den letzten Jahren des
Franco-Regimes wegen angeblicher kommunistischer Agitation auf eine kleine Insel
verbannt. Außer Telefonieren und Schiffe benutzen, leidet er kaum unter
Einschränkungen. Er freundet sich sogar mit seinem Bewacher, einem jungen
Beamten der Guardia Civil an und lehrt im Französisch. Die hübsche Feli wirft
ein Auge auf ihn und verfürhrt ihn. Der Arzt auf der Insel ist gut, aber
regelmässig besoffen. Deutsche Touristikunternehmen wollen die Salinen
stilllegen und ein Ferienparadies aus der Insel machen. Alle sind dagegen; da
dies das Leben auf der Insel nachhaltig verändern und alle zu Hilfsarbeitern in
den Hotels machen würde. Da taucht plötzlich genug Geld auf, um die Salinen
selber zu kaufen... Als Freunde von Dumau auftauchen und ihm zur Flucht zur
verhelfen wollen, will er gar nicht fliehen, denn es gefällt ihm inzwischen
sogar. Hingegen taucht ein ausländischer Polizist auf und will seinen
Nebenbuhler verhaften, denn das Geld für die Salinen war gestohlen und in einer
Höhle versteckt. Nun helfen alle zusammen, statt Dumau flüchten Feli, ihre
Tochter und der andere. Dumau hält den Polizisten im Schach. Er hat nichts zu
verlieren, denn er ist bereits in Haft.
*** 1/2 spannend, einfach, gute Fotografie ohne jeden künstlichen Effekt junge
unverbrauchte SchauspielerInnen... ein überzeugendes Erstlingswerk, etwas
"Piratenfilm", etwas Politik, etwas Liebe und Eifersucht....
EL ALQUIMISTA IMPACIENTE
(Patricia Ferreira, España,
110 Min)
ist ein gut gemachter Krimi mit guter Musik, aber auch nicht viel Mehr. Ein Mann
wird in einem Motel tot aufgefunden, gefesselt in S/M Position, keine Zeichen
von Gewalt. Er sei mit einer wunderschönen Frau, wohl eine russische Nutte
(natürlich heißt sie Irina), hier abgestiegen und habe einen Herzinfarkt
erlitten, ergaben die ersten Ermittlungen. Er war Sicherheitstechniker in einem
Atomkraftwerk... die beiden (m/w) Kommissare bleiben hängen. Monate später wird
Irina gefunden, verwest, erschossen und mit abgehackten Händen.... nun gehen die
Ermittlungen ins Mafiamileau, auch des ermordeten Frau war verstrickt, und als
Dolmetsch auf der Gehaltsliste dubioser Bauherrn. Sie wusste aber nichts vom
Doppelleben ihres Mannes. Er hatte der Mafia ein hochstrahlendes Element aus dem
AKW herausgeschmuggelt und im Ferrari eines Widersachers unter dem Sitz
montiert, dies führte zu dessen langsamen Tod...
** spannend
ARARAT
Canada, 115 Min
Atom Egoyan Kanada - der aus Armenien stammende Egoyan erfreute uns bereits mit
vielen Filmen. Sein neuestes Werk ist unnötig kompliziert, Film im Film,
Geschichte in Geschichten verwoben. Dabei geht es um die Dreharbeiten zu einem
Film, der die Massaker der Türken an den Armeniern groß zeigen soll. Just an dem
tage der Premiere kehrt der Sohn einer an den Dreharbeiten beteiligten Frau
zurück und wird am zoll festgehalten, er hat belichetete 35mm Filmrollen und
Videomaterial aus der Gegend des einstigen Massakergebietes bei sich, doch ist
wirklich Film in den Rollen oder Rauschgift ? Es ist der letzte Arbeitstag des
vor der Pensionierung stehenden Zöllners und er läßt Gnade vor Recht walten. Der
Armenier ist überzeugt, dass der Geist seines Vaters, ein Freiheitskäempfer
(Terrorist nach anderer Lesart), ihm geholfen hat.
*** sehr gut gemacht, aber unnötig kompliziert. Sicher auch Öl ins Feuer der
Antiislamisten....
EN LA CIUDAD SIN LIMITES
Ar/E (Cinemascope - digital)
Antonio Hernández, 116 Min.
Max, der
einst ein Kommunist war und jetzt ein Pharmaunternehmen besitzt, hat Krebs und
nicht mehr lange zu leben. Er ist in einem Luxusspital in Paris. sein Sohn
Victor bemerkt, dass er noch ein Geheimnis hat und sogar flüchten will. Er sucht
einen gewissen Rancel und fühlt sich vom Rest der Familie verfolgt.. eine Folge
des Hirntumors? Victor geht der Sache nach und findet heraus, dass Max und
Rancel zur Zeit des span. Bürgerkrieges eine revolutionäre Zelle bildeten. Eines
Tages wurde Rancel verraten, verhaftet und soll nach 10 Jahren in der Haft
gestorben sein. Victor findet eine leerstehende Wohnung, Max hat tatsächlich
noch die Schlüssel. Sie gehen hin, doch vieles hat sich verändert. Rancel lebt
aber noch und hat sogar ein Buch über diese Geschichte geschrieben. Max´ Frau
(gespielt von Geraldine Japlin) verstrickt sich in Lügen. Sie hatte Rancel den
faschistischen Henkern ausgeliefert! Aus Eifersucht: denn Max war bi (schwul)
und und Rancel sein Geliebter.
***1/2 von Peter und Nobi. - beachtlich
leider etwas Längen, viele familiäre Nebenhandlungen.
LOS OTROS
E/GB
Fantasy
Film mit Nicole Kidman in der Hauptrolle; stimmige Fotografie und eine doch
recht interessante Auflösung (alle waren Geister und keiner am leben, eine
spiritistische Seance brachte alles durcheinander). 1945 ein Schloss auf Jersey
Island, eine Frau allein mit zwei Kindern, die Photophobie haben und kein Licht
vertragen, als neue Angestellte kommen, beginnt es im Schloss so richtig zu
spuken ….
** für Freunde des Gruselfilms
EL LUGAR DONDE ESTUVE EL PARAISO
Iuitos/
Peru – zur Zeit der arg. Militärdiktatur - der argentinische Konsul - seine
Tochter kommt- ein Asylant, dem er Schutz gewährt macht sich an die Tochter
heran - seine Frau aus dem Bordell und die Tochter vertragen sich nicht-
Saufereien aus Eifersucht – die Tochter haut ab – alles war nur inszeniert, um
den gemütlichen Posten zu rechtfertigen,
** schöne Bilder von den Originalschauplätzen
am Amazonas; hablan demasiado mucho
Un Perro
Llamado Dolor
Luis Eduardo Aute, 90
Min, praktisch sprachfrei – einige Zwischentitel
Vollkommen gezeichneter Animationfilm über die großen Stars der Bildenden Kunst
und des Kinos, von Buñuel
bis Eisenstein und von Dalí bis Picasso. Es geht um ihre Beziehung zum Modell
und die erotischen Fantasien dabei. Eigens dafür komponierte Musik !
*** ein Genuss für kunsthistorisch Gebildete
Nirgendwo in Afrika
Caroline
Link, BRD, 141 Min, Cinemascope, digital
Einer jüdischen Familie in Nazideutschland, er ein Jurist, sie aus gutem Hause,
gelingt 1938 gerade noch die Flucht nach Kenya, wo sie ein sehr einfaches Leben
führen müssen, als der Krieg ausbricht, werden sie interniert (z.T. in
Luxushotels! ) und er kämpft bei den Briten gegen die Nazis. Die Tochter kommt
in eine englische Schule und ist sehr aufgeweckt. Nach dem Krieg bekommt er eine
Stelle als Richter von Wiesbaden angeboten, doch die Frau will nun plötzlich
nicht mehr zurück. Ein Heuschreckenschwarm und eine neuerliche Schwangerschaft
tragen aber dazu bei, dass die leidgeprüfte Familie zusammenbleibt.
*** sehr gute Naturaufnahmen – für die etwas
dünne Geschichte enorme Dauer, durchaus kurzweilig, korrekt zu den Eingeborenen,
typisch deutsche Familien- und Beziehungsprobleme
Piedras
Ramon Salazar, E, 130
Min – mit Angela Molina
Das Erstlingswerk ist ein typischer Problemfilm mit guter Musik (auch Tango).
Ein „Schönling“ verlässt seine Geliebte, sie will ihn unter allen Umständen
zurück, in Wahrheit ist er schwul; eine reiche neurotische Frau, die Schuhe
sammelt und klaut, sie ist untreu. Ihr Mann geht zu einer zweitklassigen
Prostituierten und verliebt sich in diese, will ihr das Tangotanzen lernen; ihre
Tochter ist geistig behindet, eine Taxifahrerin, mit der Urne des Verstorbenen
in der Küche, sie lebt mit einer schwer suchtgiftabhängigen Frau zusammen.
Die fünf Personen verweben sich irgendwie ineinander; eine differenzierte
Personenschilderung fernab der gängigen Klischees sind positiv zu vermerken,
denn nichts wirklich innovatives und viel zu lang
** hablan demasiado mucho
und im normalen Kino in Spanien lief auch:
Deseo
AR, E, 2001, 105 Min,
Gerardo Vera
Die Geschichte von Romeo und Julia in neuer Interpretation, Madrid 1945. Elvira,
deren Vater von den Francisten erschossen wurde, dessen Mann wegen
„Bolschewismus“ im Gefängnis sitzt und deren Schwester ihr Leben gegen den
Faschismus riskiert leben ärmlichst bei der pflegebedürftigen Mutter. Sie nimmt
eine Arbeit als Hausangestellte bei Pablo an. Dieser beeindruckt sie durch sein
kultiviertes Wesen und die Bibliothek, sie liest gerne Rilke. Aber er ist ein
Nazispion. Sie verlieben sich und beide Seiten warnen vor der Beziehung zwischen
einem Nazi und einer Kommunistin. Als ihr Mann bei Kriegsende frei kommt, und
sie mit ihm nicht mehr sehr glücklich ist, verrät sie Pablo. Dieser bringt noch
seine deutsche Familie, Nazi-Generäle via Spanien nach Argentinien. Doch Pablo
muss Elvira töten, umarmt erschießt er sie auf einem Abgrund und stürzt selbst
auch in den Tod.
**** herausragend - klassisches Melodram,
konventionell gemacht; hervorragende Schauspieler (die von Almodovar entdeckte
Norma Aleandro), passende klassische Musik (Mahler) und genaue Requisiten und
Schilderung des damaligen Lebens in Madrid.