Bericht  vom 37. Int. Filmfestival Rotterdam 2008


von Dr. Norbert Fink


Cleópatra

Julio Bressane, Brasil 2007, Cinemascope, 116 min.

Aufbauend auf der Lyrik der portugiesischen Sprache (no Rio  não se fala, se canta) komponierte der Autor traumhaft schöne Bilder, wie klassisch gemalt, aber mit manchen verstörenden und schockierenden Elementen. Historische Tatsachen - die Ermordung Cäsars in den Iden des März - sind eingebaut, doch geht es hintergründig um macht und Tyrannei.

Rund 1/4 der Besucher probten den Exodus aus diesem schwierigen Film, der aber durch pikante Sexszenen und viel schöne nackte haut den Zuschauer  wach hält.

Der Mythus von Cleopatra, der letzten  Königin Ägyptens, ihr Spiel mit Macht und Eros - dargestellt von Alessandra Negrini. 15 Jahre hätte er am Buch gearbeitet, der Film selbst sei in 14 Tagen abgedreht worden.

** kunstvoll und sehr theatralisch, da eher ein "Experimentalfilm" nichts fürs breite Publikum. 


Ist hard to be nice (Tesko je biti fin)

Srdjan Vuletic -
Bhz/D/GB/Serbien /Montenegro/SLO, 2007, 102 min.

Sarajewo. Fudo, ein Taxifahrer hält sich nur mit Hilfe Sejos, eines Gangsterbosses über Wasser. Seine Beziehung droht zu zerbrechen. als ihm sein Wagen zertrümmert wird, holt er sich bei Sejo einen Kredit und kauft einen Renault  Espace und einen feinen Anzug und führt japan. Touristen durch die geschichtsträchtige Stadt. Zufällig erfährt er nach einer Blutprobe, dass sein Kind nicht von ihm sein kann... Eigentlich will er aus dem Strudel der Kleinkriminalität heraus, doch es ist sehr schwer...

*** Spannend, aber konventionell, zeigt Vuletic das Leben in Sarajewo, wo die Wunden des Krieges noch nicht verheilt sind. (arte)


Ainda orangotangos (still Orangutans)

Gustavo Spolidoro; Brasil 2007, 81 min

Nach dem Buch "Gaucho" von Paulo Scott

Jede der 6 Storys ist ohne Schnitt in der realen Situation gedreht worden. Auch  zwischen den Geschichten ist kein Schnitt aufgefallen! 6 absurde Geschichten aus Porto Alllegre werden verwoben und mit "Gaucho Rock" unterlegt.

1 - ein japan. Pärchen im Zug, als er aussteigen will, merkt er, dass sie tot ist. Er läßt sie einfach zurück.

2 - zwei Lesbierinnen im Omnibus begegnen Papa Noel und fangen mit ihm zu streiten an.

3 - die Traumpassage a la Hitchcocks Vögel, nackt eingesperrt - Vögel versperren den Weg. 

4 - Liebesspiele eines 40 jg und einer Tätowierten in einer fremden Wohnung. Da sie nichts zu trinken finden, saufen sie Parfum, die tätowierte Schönheit fällt ins Koma.

5 - der alte Mann und das Trash - Manuskript

6 - Quinceanera-Feier und die Braut haut mit ihrem Lover ab.

**** kurzweilig und rasant, ein fröhliches, durchgeknalltes Brasilien. 


Una novia errante (a stray Girlfriend)

Ana Katz, Argentinien 2007 - 90 Min., Cinemascope

Ines geht ihrem Freund  Miguel offenbar auf die Nerven. Als sie an ihrem romantischen Urlaubsort ankommen, steigt er wieder in den Bus ein und lässt sie allein in Mar de La Pampa zurück. Sie bezieht alleine das im voraus bezahlte Zimmer und ruft ihn immer wieder an, löscht seine Mails und seine Handy-Mailbox. Doch Miguel bleibt sehr wortkarg. Doch langsam findet sie auch hier Kontakt, aber wer will was von wem?

*** schön langsames Portrait einer jungen Frau, die eine Beziehung zerredet hat.
 


Mio fratello e Figlio unico

(My brother is an only child)

Daniele Luchetti; Italien 2007, 108 min.

Kann ein Film im Verleih eines US Majors Gespür für Politisches im Italien der 60 er Jahre  haben? Die Familie als Mikrokosmos der Gesellschaft, Streit zwischen MSI und PCI-Brüdern, die beide dieselbe Frau lieben.

Latina, die einstige Bastion Musssolinis ist der Ort, wo man sich für oder gegen den Faschismus entscheidet.

Dass ausgerechnet Accio,  der intellektuellere der beiden Brüder sich für die MSI entscheidet , ist schwer nachvollziehbar. Beide raufen um die gleiche Geliebte und die politische Gesinnung.
** Leider  handwerklich höchstens durchschnittlich und nicht besonders witzig. Mir war auch zuviel Sympathie für den Faschismus drin!


Cargo 200 (Gruz 200)

Alexei Balabanov; Russland  2007, 89 min

Der beste, zumindest berührendste  Film. Balabanov will mit diesem schockierenden  Thriller gegen die Sowjetnostalgie provozieren.

Cargo 200 = ein "Hugo" , der Flugtransport einer Leiche, hier der Toten aus Afghanistan.

Russland 1994, die letzten tage von Andropov vor der Peristroika, Afghanistan - Krieg, immer mehr Leichen treffen in Leningrad ein.

Ein Professor für wissenschaftl. Atheismus hat eine Autopanne mit seinem Moskvich. Er sucht auf dem Land  ein Haus. Eine wortlose Gestalt deutet ihm nach hinten. Da wird schwarz gebrannt und gesoffen. Während sein Auto geflickt wird, wird er zum Trinken gezwungen und in einen Dialog über Gott und die Seele verstrickt.

Sturzbetrunken fährt er nach Leninsk, der Regionalstadt zurück.

Seine Tochter geht in die Disko und danach mit einem Freund ihres Freundes (der in Afghanistan ist) noch weiter - auf der nächtlichen Suche nach Wodka geraten  auch sie  in dieses verwunschene Haus. Zuerst wird ihr Bekannter  betrunken gemacht, dann fällt  der Knecht um, dann wird sie vergewaltigt und der Automechaniker als Zeuge erschossen.

Vom wortlosen Fremden wird sie zu seiner Frau erklärt und in Handschellen abgeführt - er ist ein Polizist. Der Knecht wird des Mordes bezichtigt und hingerichtet. Sie wird in seiner Wohnung, wo eine alkoholkranke Mutter wohnt, ans Bett gefesselt. Die Leiche ihres Freundes - tot zurück aus Afghanistan - wird neben sie gelegt.

Auch der Polizist wird von der Frau des Schwarzbrenners erschossen,

Die Situation eskaliert derart, dass der Atheismus Professor sich taufen lässt.

**** extrem schwarz, aber irgendwie glaubwürdig ist diese an wahren Gegebenheiten orientierte Geschichte aus der ehem UdSSR. Besonders der argumentative Notstand des Professors ist erschreckend. 
Der Film gewann den Preis der Niederl. Filmjournalisten !


Alexandra

Alexander Sokurov, Rus 2007, 92 min. Desaturiert. 

Alexandra, eine "Babuschka" besucht Denis ihren Sohn in einem russ. Armeelager bei Grosny in Tschetschenien. Er ist ein guter Offizier und kann dies organisieren. Eine gutmütige, alte Frau unter Hunderten von Kriegern. Sie stellt naive Fragen und läßt sich alles zeigen. Als sie aus dem Lager hinaus auf einen Markt geht, freundet sie sich mit anderen Müttern an, doch sie sind der "Feind" und erzählen die Ereignisse aus ganz anderer Sicht ....

**** Ein leiser, langsamer und friedlicher Film, mehr darf wohl in Russland über den Kaukasus Konflikt derzeit  nicht gesagt werden. Schön zeigt er, wie eine Frau Frieden ausstrahlen kann! 


Nightwatching

Der neue  Peter Greenaway über die Maler wie Rembrandt im 17. Jhdt. ist leider theatralisch und geschwätzig und über 2 Stunden lang.

An einer fein gedeckten Tafel sitzen die feinen Leute und reden, wobei manche Erzählungen durchaus bebildert werden, kunstvoll fotografiert.
An extravagant, exotic and moving look at controversy he created by the identification of a murderer in the painting Rembrandt's romantic and professional life.


Eat, for this is my body
Michelange Quay, Haiti / F 2008
Der Experimentalfilm beginnt spannend: eine Hubschrauber-Kamerafahrt vom Meer, über die Slums Haitis bis in die zerklüfteten Berge, dem folgen zerstörende und surreale Bilder, z.B. eine Schulklasse voller afrikanischer Kinder in Anzug und Krawatte kommen zu einer Lehrerin, doch sie hat nichts zum Essen vorbereitet, obwohl sie hungrig sind, sie müssen "Merci!" sagen, obwohl sie nichts zu essen bekommen. Als eine Torte auftaucht, essen sie sie mit den Fingern, obwohl Besteck und Teller vorhanden sind, die Aktion   endet in einer Tortenschlacht; eine alte Frau in einer Käsezubereitungsmaschine. Keine Handlung erkennbar ...

Ein Film, der zum Exodus eines großen Teils des Publikums führte!


Fim da linha (End of the line)

Gustavo Steinberg; Brasil 2008, 76 min. Weltpremiere

Nur 20% des den Armen zugedachten Geldes erreicht in Brasilien die Empfänger, da wäre es sinnvoller gleich das Geld aus dem Hubschrauber zu werfen, meinte sogar einmal ein Vertreter der Weltbank.

Es geht ums Geld. Ein Indianerhäuptling fordert plötzlich Geld für seinen Regentanz. Ein freier Journalist  streitet mit seiner Frau, ob er nicht mehr Ausgaben als Einnahmen aus seiner Tätigkeit habe.

Ein Politiker, dessen Geld in der Lotterie gewonnen wurde, wird von einem Wolkenkratzer zum Fenster hinaus geworfen, zuvor wird dies über den Taxifunk verbreitet. Der Journalist will diese Szene nachstellen, ein entführt geglaubtes Kind isst das Geld.

** ½  Originelle Idee, aber bei uns wirkt der Film nicht so lustig wie in Brasilien.


Und so urteilte das Publikum: (Publikumspreis)

#Film               Score (Max 5 Punkte, Min 1 Punkt=schlecht)

1 Persepolis 4,5971
2 Estômago - A Gastronomic Story 4,4892
3 2KM2 - het heden van de stad 4,4731
4 Mio fratello è figlio unico 4,4646
5 Cordero de Dios 4,4524
6 War, Love, God & Madness4,4037
7 No Country for Old Men 4,3995
8 Let the Right One in 4,3296
9 Allein in vier Wänden 4,3273
10 TBS 4,3109


Und so urteilte die Jury: Originaltext in Holländisch

Die Tiger Preise gehen nach Thailand, Malaysia und Dänemark...

Wonderful Town von Aditya Assarat (Thailand), Flower in the Pocket von Liew Seng Tat (Malaysia) und  Go with Peace Jamil (Ma salama Jamil) von Omar Shargawi (Dänemark)

Mutum von Sandra Kogut (Brasilien/Frankreich, 2007) gewann den Preis für den besten aus dem Hubert-Bals-Fond finanzierten Film.
El cielo, la terra y la lluvia von José Luis Torres Leiva gewann den FIPRESCI Preis, auch er erhielt von diesem Fonds Geld.
Cargo 200 von Alexei Balabanov. gewann den Preis der Niederl. Filmjournalisten
Network for the Promotion of Asian Cinema:  What on Earth Have I Done Wrong?! voan Niu Chen-zer (Taiwan, 2007)
Crude Oil von Wang Bing (China, 2008),




Rundherum:

Rotterdam war leicht und billig am Samstag mit der Intersky zu erreichen, doch die Rückfahrt mit der Bahn war lang und doppelt so teuer.

Die Festivalkinos waren einigermaßen zu Fuß zu erreichen, das "Pathe!" riesig und mit extremen Leinwänden. Erfreulich, dass es dank HD-TV Kameras jetzt keine unscharfen Videokopien mehr gibt.

Glamour fehlt freilich, knappe Vorstellung des Regisseurs und eine kurze Diskussion danach.

Das Festivalzentrum im de Doelen ist ebenfalls  riesig und auf 4 Stockwerke verteilt. Organisiert war alles sehr gut. Die Akkreditierunsggebühr von 150€ ist allerdings mehr als saftig und lohnt sich eigentlich ab 17 Filmen ….

Im Zentrum wähnt man sich eher in Hongkong oder Suriname, es gibt mehr Koffeeshops zum Haschen denn gute Restaurants - wenn man die vielen Fast Food Buden nicht zu solchen zählt.

Filmisch lohnt sich der Besuch allemal, hat man doch eine riesige Auswahl und 4 Mal täglich die Qual der Wahl zwischen mehreren interessanten Filmen. Rotterdam will vor allem den Ruf verteidigen, neue junge Talente zu entdecken! 

 


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