Bericht vom 52. Int. Filmfestival Locarno

von Urs Vokinger

Auch diese Jahr war der FKC für drei Tage (6. - 8. August) am Filmfestival in Locarno vertreten. Der Schriftführer Dr. Urs Vokinger musste allerdings alleine gehen, da der Obmann Dr. Norbert Fink (nicht nur, aber auch) aus Protest an der Vielzahl von amerikanischen Filmen auf den Besuch verzichtete und dafür den Besuch spanischer Festivals vorzog. Auch blieb dem Schriftführer diesjährig die charmante Begleitung der weiblichen Person vom Frauengetriebe Bregenz verwehrt, da sie, verständlicherweise, Ferien mit Mann und Kind vorzog. Somit blieb ihm mehr Zeit um Filme zu sehen (dafür weniger Zeit um darüber zu diskutieren) und zu beschreiben. In den kommenden Zeilen sind neun Filme beschrieben. Die Qualität der Filme war gut, es fehlte aber an Risikofreudigkeit und an Improvisationen (z.B. mit wenig Geld ein gute Filme drehen).



Ainsi soit-il. Gérard Blain, F

Die Inhalt dieses Films ist kurz erzählt. Ein Familienvater wird umgebracht. Aus einer von ihm hinterlassenen Akte schliesst der Sohn, dass der Mörder der Arbeitgeber des Vaters sein muss. Als die Polizei ähnliche Schlüsse zieht, erschiesst der Sohn den Arbeitgeber.

Gérard Blain erhielt am Festival einen Goldenen Leoparden für sein Gesamtwerk von zwölf Filmen. Sein neuster Film allerdings lässt einiges zu wünschen übrig. Der Film ist geschmacklos, depressiv und kleinbürgerlich. Die Darsteller sind ohne charakterliches Profil, und viele Szenen sind lächerlich oder sogar peinlich. 
Es war nicht verwunderlich, dass vor Ende des Filmes fast die Hälfte der Zuschauer den Kinosaal (FEVI) verlassen hatten.



Il tempo dell'amore. Giacomo Campiotti, I

Drei verschiedene Liebesgeschichten an drei verschiedenen Orten und zur verschiedenen Zeiten unseres Jahrhunderts. Die erste Geschichte spielt während des Burenkrieges in Südafrika zu Beginn unseres Jahrhunderts. Die vierzigjährige Martha besucht ihren Bruder und verliebt sich in einen Soldat. Die Liebe ist zum Scheitern verurteilt, da der Soldat ein Untergebener ihres Bruders ist. Die zweite Geschichte spielt in Paris während des zweiten Weltkrieges. Die Französin Claire liebt den Russen Gabriel. Beide sprechen nur ihre Landessprache; eine Kommunikation zwischen den beiden, die es erlauben würde einander kennen zu lernen ist daher nicht möglich. Missverständnisse und Misstrauen bringen die Liebe zu einem fatalen Bruch: Claire bringt aus versehen eine Bombe von Gabriel zum Explodieren. Die letzte Geschichte ist die zweier Jugendlichen und spielt in unserer Zeit in Rom. Giuseppe liegt im Koma und Naty opfert ihre Ferien um an seiner Seite zu verbringen. Naty weiss, dass Guiseppe, wenn er aus dem Koma erwacht, zu seiner Freundin zurückkehren wird. Sie selbst wird in eine andere Stadt ziehen und ihn nicht wieder sehen können. Giuseppe erwacht am Tag bevor Naty' umzieht. Sie können sich nur kurz verabschieden.

Ein Film à la Bertolucci: sehr schön und bewegend.



Simon Mágus. Ildikó Enyedi, H

In Paris wird ein Verbrechen begangen. Da Hinweise des Verbrechens fehlen und da der Erfolgsdruck hoch ist, engagiert die Polizei Simon Mágus, ein Mann aus dem Osten mit übernatürlichen Kräften, d.h. ein Hexer oder Paranormaler. Dank ihm gelingt es der Polizei das Verbrechen schnell zu klären.

Ein ehemaliger Rivale, wohnhaft in Paris, fordert Simon zu einem Duell auf. Die beiden Männer müssen drei Tage eingegraben unter der Erde verbringen. Vor dem Duell trifft Simon Janne, eine junge Frau auf der Suche nach ihrem Lebensgefährten. Da Simon nicht französisch spricht, erfährt Janne nur wenig über ihn. Trotzdem verabreden sie sich um 10 Uhr am Abend nach dem Duell.
Beim Duell überlebt der Rivale und Simon stirbt. Doch in der Nacht der Verabredung verlässt die Seele Simons das Grab und trifft Janne zur abgemachter Zeit.

Ein wirklich schöner und origineller Unterhaltungsfilm von der zierlichen ungarischen Regisseurin Ildikó Enyedi.



Gekko no sasyaki (Mondgeflüster). J, Shiota Akihiko

Dieser Film ist die Geschichte zweier Teenager, die die erste Liebe und damit auch ihre "perversen" Seiten entdecken. Das Mädchen Satasaki scheint ihren perfekten Partner, den Jungen Takuya, gefunden zu haben . Aber ihre Liebesaffaire bekommt ein unvorhergesehenes Ausmass als Satasaki entdeckt, dass Takuya ihre schmutzigen Socken entwendet und ihre Geräusche beim Uriniren auf dem Klo aufs Band nimmt. Sie will die Liebschaft mit Takuya beenden. Unfähig sich von ihr zu trennen, unterwirft sich Takuya in masochistischer Art. Satasaki behandelt ihn als Hund und entdeckt dabei ihre Zuneigung zum Sadistischen.

Die Dialoge im Film entsprerchen denen von Teenagers. Der Film mangelt an Hintergrund und Tiefgang (Fragen wie: ist "Perversität" (d.h. abnormes Verhalten) schlecht oder gut? oder wo ist die Grenze der Perversion in einer Liebesbeziehung? werden nicht aufgeworfen). Mein Kommentar: ein Porno für Teenies. Wenn der FKC einmal ein Kinderprogramm an einem Nachmittag veranstalten sollte, könnte man den Film für die 12-18 jährigen spielen lassen.



Due como noi, non dei migliori. Stefano Grossi, I

Der Film zeigt das Schicksal zweier einsamen Menschen. Yusuf, ein Tunesier der vor kurzer Zeit in Rom angekommen ist, arbeitet als Tellerwäscher in einem Restaurant. Als er seinen ersten Lohn überweisen möchte, wird ihm in der Schalterhalle der Bank das Geld von einem mit Messer drohenden Polen abgenommen. Als er seinem Angreifer hinterher rennt fällt er hin. Ivana, eine junge italienische Frau, kommt ihm zu Hilfe und begleitet ihn aufs Kommissariat. Obwohl der Pole gefasst wird, kann das gestohlene Geld nicht wieder gefunden werden.

Der zweite Teil des Filmes zeigt das Leben der Ivana. Seit der zufälligen Begegnung mit Yusuf hat sie den Job als Lehrerin aufgegeben und arbeitet nun zu Hause als Übersetzerin. Ihr einziger Kontakt mit der Aussenwelt sind die Stimmen auf dem Telefonbeantworter: ihre Mutter, die Agentur für die sie die Übersetzungen schreibt und ein anonymer Mann, der ihr obszöne Dialoge aufs Band spricht. Ein unerwarteter Besuch der Freundin Lea bringt etwas Licht in ihr mönchisches Dasein. Nach dem Besuch von Lea beantwortet Ivana den Anruf des anonymen Mannes und bittet ihn seine Anrufe inskünftig zu unterlassen.
Ein schöner Film!



Prima del tramonto. Stefano Incerti, I

Der Wilde Westen in Süditalien. Ali ein junger marokkanischer Einwanderer soll Nicetra, eine Tochter eines kleinen Mafiabosses, aus finanziell-politoschen Gründen heiraten. Doch Ali flüchtet von seiner Heiratsfeier und versteckt sich mit seiner Landsfrau in einem Hotel. Er hofft nach Marokko flüchten zu können. Doch er wird von der Mafia gefunden. Mit einem Schraubenzieher, der seinen Handrücken durchbohrt und somit ihn an der Bettmatratze festnagelt, wird er von der Mafia ausgefragt. Doch gelingt es ihm sich von den Angreifer zu befreien. Die Jagd nach ihm beginnt. Parallel zu dieser Geschichte werden zwei andere gezeigt. Die Geschichte von Domenico und seinem Freund Vito, die illegale Einwanderer über die Grenze schleppen und dann alles ihnen abnehmen, und die Geschichte von Luca und Matteo, zwei Brüder, die auf einer Bankfiliale arbeiten. Ihrer Verschiedenheit ist durch etwas Gemeinsames gekennzeichnet: beide hassen den Filialleiter. Trotz ihrer geregelten Existenz leben beide in Elend ohne Moral und Ideale. Alle Protagonisten dieser drei Geschichten, ausser Matteo, sterben während Schiessereien: Einwanderer Rächen sich an Vito; sie durchschneiden ihm die Kehle. In einem Blutbad in der Bankfiliale erschiesst Ali Luca und Dominico. und Matteo schliesslich Ali und den Filialleiter.

Trotz der teilweise brutalen Szenen und den Blutbädern ist der Film ausgesprochen gut, d.h. ehrlich und transparent. Wäre der FKC in der Jury von Locarno, so würde er als einer der Filme zur Prämierung vorschlagen.



El milagro de P. Tinto. Javier Fesser, Sp

Seit Generationen hat die spanische Familie P. Tinto eine wichtige Aufgabe: ihre Nachkommenschaft aufzuziehen und dadurch die Herstellung von Hostien spezialisierten Familienunternehmen zu sichern. Doch der letzte P. Tinto, der nach streng katholischen Werten erzogen wurde und mit der Jugendliebe, die geizige und blinde Olivia, verheiratet ist, hat keine Ahnung, wie Kinder gezeugt werde. Er glaubt, dass Kinder vom rhythmischen Strecken der seiner Hosenträger gezeugt werden. Wie im Film gezeigt wird, verursacht diese Tätigkeit ein ähnliches Geräusch wie zwei sich liebenden Menschen im Bett. Doch nach 50 Jahren vergeblichen Versuchens, passiert ein Wunder: ein Raumschiff landet not vor ihrer Haustür und zwei Zwerge entsteigen vom Flugobjekt. Sie werden als Kinder in die Familie aufgenommen. Als dann noch später ein Reisender, der eine dramatische Kindheit durchlebt hatte, an ihre Türe klopft, glauben sie in ihm den wahren, von Gott gesandten Nachfolger P. Tinto gefunden zu haben. Er wird in der Familie aufgenommen und nach strenger Tinto-Manier erzogen; der Reisende kann somit eine glückliche Kindheit nachholen. Doch das Familienglück scheint nicht lange gewährt als der Papst den Kaufvertrag für die Hostien aufkündigt. Die Familie ist gezwungen ihr Unternehmen neu auszurichten. Der Vorschlag des künftigen P. Tintos Hostien mit Käsefüllung herzustellen um damit wieder attraktiv für den Markt zu sein wird abgelehnt. Doch wie in unserer Zeit, wächst der 'junge' P. Tinto zu einer selbstständigen Person heran und verlässt die Familie in einem Austronautenanzug.

Der Stil von El milagro de P. Tinto ist von Comics und Zeichentrickfilm inspiriert. Die Stimmung des Films erinnert an "Delikatessen" vermischt mit subtil surrealistischen Situationen, exzentrischen Figuren und ironische Kontrapunkte. Das FKC Prädikat lautet gut und witzig; man muss aber mit der spanischen Kultur vollends vertraut sein um den Film voll geniessen zu können (und zu denen gehöre ich nicht ganz).


 



1999 Madeleine. Laurent Bouhnik, F

Madeleine ist die Geschichte einer einsamen, in sich gekehrten jungen Frau. Sie wohnt in einer hässlichen Zwei-Zimmerwohnung in Paris und arbeitet als Schneiderin in einem am Rande des Konkurses stehenden kleinen Kleidergeschäftes. Ihre einzige Kontaktmöglichkeit ist der Geschäftsinhaber, der mit grosser Pfiffigkeit die schäbigen Klamotten an seine Kundschaft verkauft. Der unerwartete Besuch eines Staubsaugerverkäufers bei ihr zu Hause bringt Madeleine auf andere Gedanken. Er lädt sie für einen Besuch bei ihm zu Hause an. Beim Besuch sieht Madlene dass der Staubsaugerverkäufer eine Familie hat, dass auch bei ihm nicht alles zum besten ist. Sie begreift auch, dass Attraktivität vom Aussehen und von der Kommunikationsfähigkeit einer Person abhängen. Es gelingt ihr, was vorher nur ihre reine Fantasie war, den Staugsaugerverkäufer zu verführen, der über die möglichen Folgen der Liebesnacht erst am folgenden Morgen in Madeleins Bett nachdenkt.

Der Film ist etwas konfus. Kälte und Lebensmüdigkeit waren meine Eindrücke. Was der italienische Film 'Due como noi, non dei migliori' mit viel Einfühlung gezeigt hatte, wird in diesem Film als abstrakte Tatsache ohne Umschweifung dargestellt. Viele Probleme lässt der Film im Raum stehen.


Beresina oder die letzten Tage der Schweiz. Daniel Schmid, CH

Voilà, eine schwarze Komödie über die Schweiz, von einem Schweizer, und wem 'Die Schweizermacher' gefallen hat wird auch seine Freude an diesem Film haben; allerdings die Hiebe in diesem Film sind noch weiter unter der Gürtellinie angesetzt. Es geht um das Überleben der 'Schweizerideale' und da Hauptsächlich noch Männer an den wichtigen Schaltstellen in der Schweiz sind, geht dies nicht ohne Sex- und Machtspiele. Wahrscheinlich hat Daniel Schmid die Idee zu diesem Film aus der ehemaligen wirklich gegeben Geheimorganisation des Schweizer Militärs, die nach den Fichenaffaire anfangs der neunziger Jahren aufflog, gezogen.

Der düstere Rechtsanwalt Waldvogel und seiner Freundin De (Jeraldin Chaplin) vermitteln ein charmantes russisches Callgirl, Irina, an die Crème de la Crème der Schweizer Class Politique und an die Wirtschaftskapitäne. Sie erhoffen mit den von Irina erhaltenen Informationen grösseren Einfluss in die Schweizer Politik zu bekommen. Sie versprechen Irina den Schweizerpass wenn sie gute Arbeit leistet. Aber die zauberhafte Irina weiss zu schweigen. Als sie den Landesverweis erhält, löst sie, ohne es zu wissen bei Divisionär Sturzenegger, der ein leidenschaftlicher Verdeidiger seiner Heimat ist, einen Staatsstreich aus: Der Beresina-Plan kommt in Gang. Es ist der Plan einer obskuren patriotische Organisation, deren für die Mitglieder unbekannter Kopf Sturzenegger ist. Das Ziel dieser Organisation ist bei einer allfälligen Untergrabung der Schweizerideale sämtliche Personen in Machtstellung zu eliminieren und durch die Machtergreifung die Ideale der Schweiz zu retten. Leider wird Sturzenegger während des Staatsstreichs in einem Feuerwechsel erschossen, weil er aus versehen Platzpatronen in seiner Pistole geladen hatte. Die Mitglieder treffen sich nach dem Staatsstreich in Divisionär Sturzeneggers Haus (der Ort des Anrufes wurde durch die Telefonzentrale lokalisiert und den Mittglieder bekannt gegeben), wo Irina auch unbewusst auf eine Frage der Versammelten die richtige Antwort gibt und somit ungewollt als Kopf der Organisation sich zu erkennen gibt. Irina weiss die Situation zu nützen und lässt sich als erste Königing der Schweiz mit grossem Pomp krönen.

Sicher sehenswert für Leute die mit den schweizerischen Eigenheiten vertraut sind.



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