Berichte vom Festival International du
Films, Fribourg, 2009
Genrekino statt Autorenfilme
Nobi schrieb über
die ersten Tage des Festivals:
Die Zeiten als politisch aussagekräftige Autorenfilme aus
der „Dritten Welt“ bzw. korrekter ausgedrückt, aus den Ländern des Südens, das
Filmfestival Fribourg beherrschten, scheinen vorbei zu sein. Genrekino ist
angesagt. Dies bedeutet, dass es Krimis und Gangsterfilme zu sehen gibt, die
sich in der Machart am amerikanischen Original orientieren, aber eben doch aus
einem anderen Land kommen und dessen Gegebenheiten angepasst sind. Bestes
Beispiel war „Veronîca“, ein fulminantes Remake von Cassavetes „Gloria“, wo eine
überforderte Lehrerin einen Jungen in eine düstere Gegend Rios nach Hause
bringen soll, doch dessen Eltern gerade erschossen wurden und auch der Junge
gejagt wird, weil er auf einem USB-Stick Beweise für die Korruption in der
Polizei hat. Dass da die Polzei nicht der Freund und Helfer sein kann, macht die
Sache spannend.
Wem diese atemlose Verfolgungsjagden noch zu wenig hart waren, konnte sich am
kolumbianischen Krimi „Perro Come Perro“ (Hund frisst Hund) blutig sehen. Ein
Polizist, der das bei einem Verdächtigen gefundene Geld selber einsteckt, löst
eine Kettenreaktion von Morden aus, unter anderem mit der Kettensäge gefolterte
und zerstückelte Opfer, letztlich verdächtigt und tötet jeder jeden.
Dennoch war es eine Überraschung den neuesten Film von José Padilha, Garapa, zu sehen. Padilha gewann letztes Jahr mit „Tropa de Elite“ den Goldenen Bären von Berlin mit seiner gewalttätigen Berichterstattung der Elitetruppe der Polizei von Rio de Janeiro, die gegen eigene korrupte Kollegen vorgehen muss. In Garapa, einem in Rocher Glauba erinnernden Schwarzweiss gedrehten Dokumentarfilm zeigt er wie es ist, von den 50R$ des Programmes gegen den Hunger in Brasilien leben zu müssen, die Kinder bekommen oft nur Garapa, Zuckerwasser, zu trinken und es sind meist die Frauen mit ihren vielen Kindern, die noch am ehesten einen Ausweg suchen. Dabei sehen wir keine Opfer von Drogenhandel, Kriminalität oder Prostitution, sondern von Hunger, Krankheit und Flohverbiss.
Eine an sich einfache und berührende Geschichte aus Singapur war „My Magic“, ein alkoholkranker, dicker Mann lebt mit seinem zehnjährigen Sohn zusammen, um ihm eine gute Ausbildung zu ermöglichen, verkauft er seinen Körper als Fakir. Um das nötige Geld zu bekommen verlangt der chinesische Nachtclubbesitzer immer unmenschlichere Folter von ihm ab. Sterbend erzählt er seinem Sohn seine Lebensgeschichte.
Neben den Filmen im Wettbewerb, die nun neben dem Preis der Internationalen Jury
auch mit einem Publikumspreis ausgezeichnet werden, gab es die Reihe „Out of
Bollywood“, also Filme, die sich vom üblichen Bollywood-Klischee abheben. So
Mumbai Jeri Jaan (Mumbai mein Leben),
das die Folgen der Attentatsserie vom
11.7.2006 auf die Eisenbahnlinie bei Mumbai aus dem Blickwinkel von fünf
Bewohnern, darunter auch zwei Polizisten, beinhaltet und viele kleine
Beobachtungen des Chaos in Indien ermöglichte.
„Die Fabulas de favela“ – die Geschichten aus den Slums wurden dabei zum neuen Genre erklärt, vielleicht auch unter dem Aspekt des Oscar-Erfolges von Slumdog Millionaire und bildeten eine weitere Programmschiene.
In ganz Afrika soll es kaum noch 100 echte Kinos geben, Videovorführungen von Raubkopien in Bars, kleinen Räumen und vielleicht alten Containern ersetzen es. Diesen Umstand hat Nigerias Home Video Industrie „Nollywood“ ausgenützt und produziert viele billige digitale Filmchen. Diese sind in Fribourg in einem bunten Container vor dem Alten Bahnhof authentisch zu bewundern.
„Rache der Frauen“ war ein weiterer Schwerpunkt, darunter
sogar Russ Meyers „Faster, Pussycat!“ und „Baise-Moi“ in der Hardcore-Fassung,
also keine typischen Frauenfilme, diese Auswahl zeigt deutlich, wie sehr sich
Fribourg von den etwas schulmeisterlichen Trigon-Filmen entfernt hat.
Gangsterfilme aus Asien („Der Pate in Asien“), die sich durch besondere
Brutalität auszeichnen, rundeten das Bild ab.
Die Retrospektive war schließlich Francisco Lombardi, dem Fellini Perus
gewidmet, dessen „Caidos del Cielo“ bei uns auch im Fernsehen gelaufen ist und
dessen „Bajo la piel“, ein Krimi mit Bezügen zur präkolumbianischen Epoche in
den Anden mich sehr faszinierte, das übliche Gut-Böse Schema wird dabei nämlich
gehörig untergraben.
Einen deutlichen Wandel in der Programmierung also. Aber
vielleicht haben damit die Filmemacher aus den Ländern des Südens auch eine
Chance, ihre „normalen“ Publikumsfilme
dem westlichen Betrachter vorzuführen.
Urs schrieb über das letzte Wochenende des Festivals:
Was dieses Jahr mir persönlich besonders aufgefallen ist und mich auch sehr
gestört hat waren Filme mit expliziter Gewalt. Zu erwähnen sind hier vor allem
Baise-moi, Breathless und Election 2. Den ersten Film habe ich vor einigen
Jahren am Filmfestival in Locarno gesehen, die beiden anderen habe ich mir am
diesen Festival angeschaut und auch in diesem Bericht kommentiert.
Breathless zeigt in fast periodischen
Abständen sinnlose Gewaltszenen, in denen Personen, die nicht den geforderten
Geldbetrag bezahlen können, auf brutale Weise zusammengeschlagen werden. Doch
dies war der Gewalt noch nicht genug. Im Film
Election 2 wird einem Mann zuerst mit
einem grossen Hammer die Hände zusammengeschlagen, dann mit einem Küchenbeil in
Stücke zerlegt und durch den Fleischwolf gedreht. Am Ende dieser gewaltvollen
Szenen wird das entstandene menschliche Hackfleisch den Hunden zum Frass
vorgesetzt. Ich frage mich, ob dies noch Kino ist? Grenzen solche Szenen nicht
an eine Verachtung der Menschlichkeit, auch indem solche Filme überhaupt an
einem Festival wie das FIFF aufgeführt werden? In diesem Fall hat die
Auswahljury komplett versagt. Ob der eine oder andere Film an anderen Festivals
Preise eingeholt hat, soll Nebensache sein, und ich sehe es eher schlecht, dass
Steuergelder, die zur Subvention des Festivals dienen, zur Aufführung solcher
Filme eingesetzt werden. Und falls diese Filme nur dazu dienen sollten, die
Besucherzahl des Festival zu erhöhen, um noch an mehr Subventionen zu kommen, so
finde ich dies eher eine unredliche Art und Weise.
Klar, mit dem Antreten der neuen Leitung wird einiges anders, aber dies soll nicht dazu führen, dass in die Filmkiste von Abartigem gegriffen wird. Kinogänger mit einer Neigung FÜR die Gewaltdarstellung sind damit durchs Jahr genügend versorgt, und falls sie davon nicht satt werden, können sie sich DVDs aus der Sparte Horror ausleihen.
Nun zur Preisverleihung
- Regard d’Or: My Magic; Eric Khoo, Singapur, 2008 (Kritik in diesem und Nobis Bericht)
- Spezialpreis der schweizerischen Autorengesellschaft (SSA) und Suisse Image: Intimidades de Shakespeare y Victor Hugo; Yulene Olaizola, Mexiko, 2007
- Talent Tape Preis (gestiftet von Egli Film AG und Kodak SA): Sebastián Silva Regisseur von La Nana, Chile, 2008
- Publikumspreis: Ramchand Pakistani; Mehreen Jabbar, Pakistan/USA, 2008 (Kritik in diesem Bericht)
- Preis der ökumenische Jury: Be calm and count to Seven; Ramtin Lavafipour, Iran, 2008
- E-Changer Preis: Breathless Yang Ik-june, Südkorea, 2008
- „Don Quijote“ – Preis: Intimidades de Shakespeare y Victor Hugo; Yulene Olaizola, Mexiko, 2007
Bericht über die ersten
beiden Tage von Norbert
Bericht über die letzten Tage von Urs, Prämierungen