Bericht vom Intern. Freiburger Filmfestival März 2004
Nobi und Urs berichten
Die Anfahrt war tiefwinterlich, besonders um SG lag viel Schnee am Straßenrand. Und in Fribourg, wo man um diese Zeit schon auf den Straßencafes die ersten wärmenden Sonnenstrahlen genießen konnte – eisige Kälte.
Das Filmfestival, eigentlich für Länder
des Südens konzipiert, verirrt sich immer mehr in den Osten, statt in den Süden;
zwar wird im Katalog vermerkt, dass Argentinien rund hundert Filme pro Jahr
herstelle und damit dass filmisch aktivste Land Südamerikas sei, doch im
Programm sind davon nur ein paar neue Filme zu sehen (allerdings viele in der
Retrospektive und in einer Sonderreihe „Argentinien im Herzen“); nur ein Film
aus Brasilien „Onde anda você“(Komödie im Wettbewerb), obwohl auch dieses Land
sich filmisch deutlich vom Stillstand der letzten Jahrzehnte erholt. Aus Kuba
gab´s nur 2 Kurzfilmchen.
Es gibt allerdings viel Retrospektive
und wenig wirklich Neues. Auffallend war auch, dass von trigon-Film nicht mehr
viel zu hören oder sehen war, trigon schien auf dem Festival kaum mehr präsent
und verschenkte nur uralte Broschüren…
Leider gab es auch einige Pannen in Ton und Bild…
die
Altstadt von Fribourg. Foto: Norbert Fink
Um es gleich vorweg zu nehmen: für meinen Geschmack
sah ich keinen Film, der 4 oder gar 5 Sterne verdienen würde, denn dann müsste
er künstlerisch und technisch (kein unscharfes Video) perfekt sein und auch noch
einen herausragenden Inhalt und Aussage haben. Urs ist da ein bisserl gnädiger
als ich!
Aber vielleicht hätten wir dem eindeutigen Siegerfilm (Dias de Santiago / Peru)
, den wir leider nicht sehen konnten, alle unsere Sternchen zugeteilt....
Am Donnerstag abend angekommen, war es
auch für Akkreditierte nicht mehr einfach, die Wunschfilme sehen zu können.
„complet“ – „ausverkauft“ waren die meisten Plakate der neuen Filme überklebt.
So nahm ich halt alles, was es noch gab und was zeitlich zu verkraften war bzw.
für mich sprachlich verständlich war.
Der erste Film war aus dem Jahre 1961 und der turkmenischen Sowjetrepublik, in gestochen scharfen Schwarzweiß (besser als das heutige Videozeug!) , leider aber OF ohne Ut und auch die französische Simultanübersetzung war nur wenig hilfreich für mich:
Sostjazanije
(Der Wettbewerb)
Turmkmenische SSR 1963 SW, R:Boulat Mansourov
Einem Gefangenen wird, unter der Bedingung, dass er bei einem Musikwettbewerb gewinnt, die Freiheit versprochen. In klassischem Licht- und Schattenspiel und der sowjetischen Montageschule entstandenes Meisterwerk des sowjet. Kinos, das heute noch ethnographisch und mitunter auch musikalisch für Interessierte eine selten zu sehende Perle darstellt, im allgemeinen aber etwas langatmig wirkt.
** für ethnographisch Interessierte
15
(Singapore)
“15“ war aus Singapur (mit Hilfe Australiens) und zeigt in Videoclipartigen
digital verfremdeten Szenen das leben von 5 Strassenkindern, männlich, Alter 15.
Sie tätowieren sich, piercen sich, schwänzen die Schule, machen Drogendeals,
bilden Banden und prügeln sich. Manche machen Suizid(versuche), manche
belästigen Fahrgäste in der Tram. Im Film kommen keine gleichaltrigen Mädchen
vor, ihr Sex besteht aus Übungen an der aufblasbaren Puppe, Vergleich der
Penislänge und um die Wette wixen.
Ihr leben ist hoffnunslos, ohne Illusionen und Träume, sie vergießen Blut, aber keine Tränen (wie es ganz am Anfang heißt) und sie werden nicht auf eine der sauberen Schulen Singapurs aufgenommen, weil sie zu stark tätowiert sind, oder sie landen im Gefängnis oder sie nehmen sich das leben (wie es im Abspann heißt). Im Stilmittel der heutigen Jugend, ihrer Musik und ihrem Tempo zeigt der Film recht hart (grausame Nahaufnahmen von Selbstverletzungen und Piercings…) Jugendliche am Rande der Wohlstandsgesellschaft einer der Wirtschaftmetropolen Asiens.
***
sehenswert, aber keine leichte Kost
Mala Epoca
RA 1989, Universidad del Cine Buenos Aires, 4 div.
Studentenarbeiten.
Nobi schrieb:
Eine Geschichte von Verlierern im Argentinien des Jahres 1989.
a) Oscar kann die Miete nicht bezahlen, klaut seinem Nachbarn das Geld, als
dieser es merkt, dringt er bei ihm über ein Lukenfenster ein und nach einem
kleinem Handgemenge fällt er so dumm zu Boden, dass er stirbt. Es wird für Oscar
eine Odysee die Leiche zu entsorgen.
b) Auf einer Baustelle arbeitet ein Paraguayo, der gerne Frauen anmacht, als eine sehr hübsche Frau eigenartig auf seine Anmache reagiert, glaubt er in ihr die leibhaftige Jungfrau gesehen zu haben. Das ist Anlass die Arbeit einzustellen und zu diskutieren.
c) Juan ist ein Sprössling einer reichen Familie und geht in ein Privatgymnasium. Er verliebt sich unglücklich in Lucia. Zu seinem „Glück“ findet er jedoch eine Aktentasche voller Lösegeld, was den Tod des Entführten zur Folge hat.
d) Politischer Wahlkampf: Carmen ist die Mätresse eines verheiraten Politikers und geht mit einem seiner Tontechniker fremd, dieser wird aber nur mit wertlosen Coupons entlohnt. Als der Konflikt kulminiert, wird ihm seine PA-Anlage zerstört.
Tragische Situationen werden mit feinem Bildwitz
filmisch hervorragend geschildert.
***1/2,
inzwischen ein Klassiker des neuen argentinischen Films
Urs schrieb dazu:
Mala Epoca
(Schlechte
Zeiten),
Nicolás Saad, Marino de Rosa, Salvador Roselli, RodrigoMoreno; Argentinien, 1998
Ein Film von Verlieren, weil sie in einer unteren sozialen Schicht leben oder sich nicht zu wehren wissen. Der Film ist eine Momentaufnahme Argentiniens, vorgeführt in vier verschiedenen Geschichten, die durch Personen scheinbar verknüpft sind.
Oscar zieht vom Land in die Hauptstadt Buenos Aires. Er wird sehr schnell mit der Realität konfrontiert. Weil er kein Geld hat und doch die Miete für das erbärmliche Zimmer zahlen muss, entwendet er das Geld des Zimmernachbars. Der Zimmernachbar kommt auf die Schliche und in einem Zweikampf tötet Oscar ihn ungewollt. Beim Beseitigen der Leiche in der Hauptstadt wird er immer gestört, sodass ihm nichts mehr übrig bleibt, als aufs Land zurückzukehren um sie heimlich mit seinem Bruder vergraben zu können.
Omar, der Handlanger auf einer Baustelle eines Hochhauses, ist die Hauptfigur in der nächsten Geschichte. Er liebt Frauen und rennt erfolglos, auch Frauen höherer Sozialschichten, nach. Eines Tages jagt er einer schönen jungen Frau nach, die einen Rosenkranz in der Hand trägt. Anstelle ihn zu verhauen und alle Schande zu sagen, blickt sie ihm in die Augen und antwortet ihm in einer Indiosprache und küsst ihn auf die Stirn, bevor sie sich von ihm entfernt. Omar schaut ihr wie gelähmt nach und glaubt nun die Heillige Maria getroffen zu haben. Auf der Baustelle erzählt er den Kameraden von seinem Erlebnis, die ihm nicht glauben. Doch mit der Eindringlichkeit, mit der Omar sein Erlebnis erzählt, weckt er die Kameraden zum Nachgrübeln über das Wieso und Warum des Lebens, was die Arbeit auf der Baustelle zum erliegen bringt. Bei einer Auseinandersetzung mit dem Bauführer verunglückt Omar schwer. Trotz seiner Invalidität bleibt er bei seinen Kollegen auf der Baustelle und sinniert weiter über das Wieso und Warum des Lebens nach.
Der junge und verträumte Juan aus der gut betuchten Familie liebt Lucia aus sehr guten Verhältnisse. Lucia findet zwar Juan sympathisch aber nicht anziehend genug für eine Love Story. Lucia zieht einen andern, extrovertierteren Jungen vor, als der introvertierte und romantische Juan. Dem verträumten Juan werden diese Umstände erst klar, als Lucia und ihr Bevorzugter im Chemieunterricht einander die Hand geben. Juan ist sehr enttäuscht. Durch Zufall findet er einen Koffer voll Geld an einem Strassenrand, den er packt und ihm etwas Trost über die gescheiterte Liebe gibt. Doch leider war es der Koffer für eine Geldübergabe einer entführten Person. Da die Geldübergabe nicht geklappt hatte, wird er Entführte kaltblütig erschossen.
Der Mitte zwanzigjährige Antonio ist auch ein Träumer. Er lebt bei seiner Grossmutter und repariert alle Arten von Geräten. Des weiteren besitzt er eine ganze Tonanlage, die er bei Veranstaltungen aufstellt und bedient. Carols, ein doppelbödiger Politiker, beauftragt Antonio die Tonanlage für seine Wahlkampagne aufzustellen und bezahlt ihn mit lumpigen Gutschriften. Carlos, der verheiratet ist und Kinder hat, 'verschönert' sein Leben mit der jungen Maitresse Carmen. Antonio und Carmen lernen sich kennen und verlieben sich. Carmen warnt Antonio über die Unberechenbarkeit Carlos und drängt ihn keine Aufträge von ihm anzunehmen. Doch Antonio hört nicht auf Carmen und bei der nächsten Aufführung bleibt er nicht nur für seine Arbeit unbezahlt, sondern verliert auch Carmen und seine Tonanlage, die aus 'versehen' durch einer von Carlos Anhänger auf den Boden fällt und in Stücke zerbricht.
Ein sehr guter Film und beachtlich da er von Studenten der Filmuniversität Argentiniens gedreht wurde. Die Figuren im Film sind lebensnah gestaltet und die Geschichten sind originell, sodass bei der fast zweistündigen Länge keine Langeweile aufkommt. ***
Maargam (Der lange Weg) Rajiv Vijay Raghavan; Indien, 2003
Venu Menon ist ein ehemaliger marxistischer Revolutionär. Er ist mit einer überzeugten Katholikin verheiratet. Im Gespräch mit seiner Tochter erinnert er sich an seine Vergangenheit. Ähnlich wie wir es in Europa kennen (die Nachkommen des zweiten Weltkrieges), stellt die Tochter auch de unangenehmen Fragen, ob er auch getötet habe. Er verneint die Frage, er sei nur bei der Organisation dabei gewesen, die 'Drecksarbeit' haben seine Freunde erledigt. Dass er dabei während des Aufstandes nicht viele Freunde gewonnen hatte, scheint ihn bis in die Gegenwart zu verfolgen.
Der Film ist sehr klassisch und wurde
innert 21 Tagen gedreht. Was daraus entstanden ist, darf sich sehen lassen.
Allerdings fehlt dem Film eine kräftige Bildsprache, sodass es nur schwer ist
dem Inhalt mit den schnell vorbeihuschenden Untertiteln zu folgen. Die Botschaft
liegt in diesem Film in langen Dialogen verborgen.
**(Urs)
Maargam
Indien 2003, 108 Min, mono
Rajiv Vijay Raghavan
Venu Menon, ein Revolutionär, der für seine marxistische Gesinnung auch schon im Gefängnis gefoltert wurde, ist mit einer Katholikin im „linken“ indischen Bundesstaat Kerala verheiratet. Seine Tochter ist von beiden Ideologien entfremdet und genießt das gut bürgerliche Leben im Wohlstand und in der Kleinfamilie.
Die gut gemeinte und schön fotografierte
Geschichte scheitert allerdings an zu langsamer Entwicklung und vor allem daran,
dass die einstigen Ideale des Vaters nicht deutlich genug ausgebreitet werden.
Außerdem ist die Bildsprache nicht immer kongruent mit dem Text und zu wenig
dicht. Der Film ist für europäische Zuseher konfektioniert (europ. Länge, keine
Tanzszenen, keine Lovestory) und deshalb in Indien selbst ein Flop.
** etwas langatmige Geschichte, in der die
Tochter eines Professors seinen Vater über seine revolutionäre Vergangenheit
befragt. (Nobi)
Route 181
Ist ein 3 x 90 Minuten langes „Road-Movie“
im israelisch besetzten Palästina, die arte-Fernsehproduktion war sehr
umstritten und wurde in letzter Minute noch auf das Programm genommen, nachdem
sie auch in Paris im Centre Pompidou vorgeführt wurde. Er beginnt, wie arabische
Bauarbeitern in schönster Strandlage Wohnungen errichten, wohl nicht für die
Palästienser…
Gegen «Route 181», ein israelisch-palästinensischer Dokumentarfilm, läuft in
Frankreich zur Zeit eine Zensurwelle ohne gleichen – die „Libération“ spricht
von einer «censure sans précédent». Aufgrund einer Abmachung zwischen der
Bibliothèque Publique d’Information, dem Centre Pompidou und den französischen
Kulturministerium wurde der Film aus dem Programm des französischen Festivals „Cinéma
du réel“ gestrichen, obschon sich mehr als 300 Personen schriftlich gegen diesen
Schritt eingesetzt hatten.
(Lief nur im Videoformat und auf französisch)
Nodongjada Anida
Wir sind Arbeiter,
nicht wahr?
Südkorea 2003
Ist eine 60 min. DV-Videoproduktion über einen Arbeitskampf in Südkorea. Im Zuge der Globalisierung beschlossen die Bosse der Fertigbetonfabriken, die Fahrer der Flüssig-Beton-LKW zu „selbstständigen Unternehmern“ zu erklären. Sie mussten die LKW selber kaufen und dann später auch warten und erhielten nur noch eine Pauschale von 27 $ pro Fuhre.
Da ihnen allerdings Arbeitszeit, Kunde, ja sogar die Farbe des LKW vorgeschrieben wurde, merkten sie vom „freien“ Unternehmerdasein nichts; im Gegenteil; am Ende blieben ihnen weniger als vorher und auch am Sonntag musste nun gearbeitet werden. Diese Frächter traten nun einer Gewerkschaft bei und wurden daraufhin gleich entlassen, ein langer Arbeitskampf begann, das Arbeitsministerium half ihnen nicht, die Polizei zerstörte ihre LKW und inhaftierte sie oft. Die Gerichte entschieden zwar, dass sie sich gewerkschaftlich organisieren dürfen, erklärte aber auch sie zu „Nicht-Arbeitern“. Viele werden in den Ruin gestürzt. Die Absurdität der neoliberalen Logik, aus Arbeitern Sub-Unternehmer zu machen wird dabei deutlich gezeigt. Dass da manchmal auch mit versteckter Kamera gefilmt werden musste, verzeiht den Einsatz der Amateurvideotechnik und somit eine nicht kinowürdige Qualität.
*** politisch
hochinteressant und brisant – technisch mangelhaft
Erhielt den Preis für den besten Dokumentarfilm.
Bai Ma Si Jie Mei
Four Sisters from Baima
Die 4 Baima-Schwestern
Tongdao Zhang, China 2003, 68 Min.; BetaSp
Ein tibetanisches Dorf soll nach dem Willen Pekings für den Tourismus geöffnet werden, 10 ausgesuchte Familien sollen in ihren bunten, traditionellen Trachten tanzend die Bustouristen empfangen, Hotels und Restaurants, Souvenirläden etc. entstehen. Zwar werden eine wenige astronomisch reich dabei, dennoch formiert sich immer mehr Widerstand gegen das Projekt und seine Auswirkungen, kitschige und schlampig hergestellte Neubauten im „alten Stil“ werden errichtet, die Strassen geteert. Die beschauliche Ruhe in dem Dorf ist dahin…
Für den „fremden, weißen“ Betrachter ist nicht immer klar, was zynisch und was ernst gemeint war. Optisch recht ansprechend gemacht, aber leider nur eine Fernsehdokumentation.
** Beispiel
eines wenig sanften Tourismusprojektes in China, das die Zerstörung der
tibetanischen Kultur fördert
Bajo California, el limite del tiempo
Carlos Bolado, Mexico 1998, 35mm, 96 Min
Im Panorama lief dieser schöne Film, der Zeit- und Raumgrenzen mehrfach überschreitet.
Damian, ein erfolgreicher Künstler aus LA, fährt auf der Autobahn, als ihm eine schwangere Frau in den Weg läuft und er sie niederfährt, wahrscheinlich war sie eine illegale Immigrantin aus Mexiko.
Von Gewissensbissen und in Albträumen geplagt, verlässt er seine ebenfalls schwangere Frau und fährt mit seinem Pick-Up in Südkalifornien über die Grenze nach Mexiko, auf die Halbinsel Bajo California. Dort begegnet er auf der Suche nach dem Grab seiner Großmutter auch den sensationellen Höhlenmalereien in der Sierra Montain. Die Gegend ist sehr karg und wenig fruchtbar, die Mensch arm. Neben den Cacteen viele Autowracks.
Er setzt sein Auto an einem einsamen Strand in Brand und geht büssend zu Fuß weiter, auch den Ritt auf dem Maultier verweigert er. Er begegnet allegorischen Figuren, Symbolen des Todes, wird von einer Schlange gebissen. Am Ende, durch viele Qualen geläutert, erfährt er, dass seine Frau ihm einen Sohn geboren hat und kehrt wieder zurück. Allmählich zweifelt er daran, dass der vermeintliche Unfall real gewesen sei, dann als er an die Unfallstelle zurückfuhr, habe er nichts mehr gesehen. (Derartige moderne Sagen tauchen auch bei uns in esoterischen Kreisen immer wieder auf…).
*** filmisch
interessante, esoterisch angehauchte Geschichte um einen Mann, der mühsam durch
die Steinwüste Bajo Californias wandern muss, um sich vor einer ev. nur
eingebildeten Schuld zu befreien.
Onde anda você
Brasilien 2003, 100 min, 35mm, dolby digital
Sergio Rezende
Der Titel ist offenbar schwer zu übersetzen! „Wohin gehst du?“ würde ich sagen,
„Where have you been?“ schrieben die engl. Untertitel und „Wo bist du?“ der
Katalog…
In üppigen Bildern von den landschaftlichen, kulinarischen und weiblichen Reizen Brasiliens geht es um Felicio, einen ehemaligen Clown, der ausgerechnet nach einem gerade noch überlebten Herzinfarkt auf die Idee kommt, ein Comeback zu versuchen. Seine Exfrau ist gerade gestorben und er sucht verzweifelt nach „Boca Pura“ („echter Mund“), seinem früheren Partner. Er will nicht glauben, dass er auch schon tot ist und sucht ihn im Nordosten. Er fliegt von Sao Paulo nach Aracajú und Ipiaú, von dort geht’s mit dem Bus weiter nach Fortaleza, wo er in der bizarren Dünenlandschaft seine Tochter gefunden zu haben glaubt (sie ist aber nur ein Aktmodell bzw. Callgirl eines Hotels), sein Assistent verliebt sich in sie und nimmt sie in die Gruppe auf. Er findet letztlich in einer einsamen Hütte am Strand seinen ehemaligen Partnerclown. Ein letzter Umtrunk – und auch Felicio geht hinüber ins Reich der Toten. Im Paradies aufgewacht trifft er seine Ex und seinen Partner wieder, und selbstverständlich grapscht er selbst im Jenseits noch am wohlgeformten Hintern der Frau – das ist „Brasilidade“. Köstlich sind sicher das „Casting“ nach Nachwuchsclowns in einem Kloster und eine Bordellszene, wo Felicio in Wahrheit sich nur bei der Liebesdienerin ausweint.
Für ein Festival wie Fribourg ist der im Verleih des US-Major UIP erscheinende Film verdammt leichte Kost.
*** Der Film ist sicher vergnüglich für alle Brasilienfans und wird gegen Ende besser und dichter, er ist eine wunderschön fotografierte bittersüsse Komödie mit vielen literarischen Zitaen; aber nicht viel mehr.
Tierra y asfalto
Leider technisch inakzeptables Video (dabei wäre
viel Ausgangsmaterial auf 35 oder 16 mm gewesen !) über den 60 jährigen Kampf
der Indianer Argentiniens um Zuteilung eigenen Landes. Schon Perón versprach der
indigenen Urbevölkerung, das ihnen von den Kolonisatoren geraubte Land
wenigstens in einigen kleinen Gebieten wieder zurück zu geben, damit sie in
Würde leben und ihre Kultur weiter pflegen können.
Mehrere Gesetze scheiterten aber an der Vollstreckung, denn die Frist um
Hinterlegung des Geldes bei der Nationalbank wurde mehrfach versäumt und die
Indios von den Politikern betrogen. Damit es nicht wieder so weit kommt, reisten
sie nach Buenos Aires und ließen sich auf der Plaza de Mayo nieder, bis diesmal
ihre Forderungen um Erfüllung der gesetzlichen Pflichten erfüllt wurden.
** wenn der Film technisch besser gewesen wäre,
hätte er viel an Aussagekraft gewonnen!
Urs sah ferner:
Die Befürchtung, dass das 18. Filmfestival in Fribourg, Schweiz, den selben Ansturm von Interessenten habe würde, wie es an den diesjährigen Filmtagen in Solothurn beobachtet wurde, war unberechtigt. Obwohl einige Filmvorführungen ausverkauft waren, hielt sich die Besucherzahl in Grenzen. Fand früher das Festival in Fribourg in nur zwei Kinos statt, so war dieses Jahr ein drittes, das Alpha, hinzugekommen, was auf eine Vergrösserung der Filmangebote hinweisen liess. Im Vergleich zu Solothurn, liegen die Kinos nahe zusammen (keine zehn Gehminuten), so dass sie auch, wie in diesem Jahr, bei eisiger Kälte, ohne grosse Mühe zu Fuss erreichbar sind.
Die Auswahl der Filme füllte ein ganzes Wochenprogramm. Das Festival zeigte Spiel-, Dokumentar- und Kurzfilme unter anderem aus Ländern Burkina Faso, Marokko, Peru, Taiwan, Sri Lanka, Argentinien, Indien, Japan, Südkorea, Brasilien, China, Algerien, Israel, Kirgistan, Kuba, Libanon, Uruguay, Ruanda, Palestinien, und Mexiko; also, ein buntes Programm an Filmen, die üblicherweise nicht in unserer Region ins Kino kommen und ohne dieses Festivals uns vollkommen unbekannt bleiben würde.
Der Film „Días de Santiago“ von Josué Mendez, Peru, gewann dieses Jahr fast alle grossen Preise des Festivals. Leider haben wir den Film nicht gesehen und können daher kein FKC-Urteil abgeben. Aber Anbetracht dessen, dass Eliseo Subiela Präsident der Juri war, können wir annehmen, dass dieser Film den anderen sicher überlegen war.
Hier nun einige Berichte über die gesehenen Filme. Es schmerzt manchmal, dass Filme, die uns begeistert haben, keinen Verleiher in Europa (bzw. Österreich) finden.
Turkmenistan Priklyucheniya
na Malenkikh Ostrovakh
(Abenteuer auf den kleinen Inseln),
Ousamn Saparov; Turkministan 1985,(Aufführung durch die
Zauberlaterne.
Hier weitere Informationen.
Der Samstag Morgen war den Kindern
gewidmet. Der Klub
'Zauberlaterne' (La Lanterne Magique), eine (internationale) Organisation
mit Hauptsitz in Neuchâtel, Schweiz, die den Film als Kunstwerk und nicht als
Konsumartikel an die Kinder bringt, zeigte den Film Turkmenistan Priklyucheniya
na malenkikh ostrovakh (Abenteur au den kleinen Inseln). Vor der Aufführung
wurde mit zwei Sketche den Kindern die Botschaft des Filmes näher gebracht:
Unberührter Natur, die durch den Einfluss der Menschen zerstört werden kann. So
im ersten Sketch rief der
Komödiant (Sounddatei in französisch hier!) die Kinder zum Belassen der Natur auf; im zweiten Sketch wollte
der
Komödiant (Sounddatei hier! frz.)aus der unberührten Natur ein billiges Reiseziel machen, was von
den Kindern mit pfiffen erwidert wurde.
Nun die Geschichte im Film handelt von Kerim, der mit seinem Grossvater auf einer herrlichen Gruppe unberührter Kleininseln lebt. Der Grossvater hat die Aufgabe, die alltägliche Wetterverhältnisse an eine Zentrale zu leiten. Kerim vergnügt sich an den paradiesischen Verhältnissen. Eines Tages bekommt Kerim Besuch, die kleine Ina, die einige Tage auf der Insel verbringen will. Gerührt von der wilden Umgebung greift Ina durch ihr Verhalten in den Zyklus der Natur ein: Auf einer Nachbarinsel streichelt sie ausschlüpfende Möwenkükchen ohne über die Folgen im klaren zu sein. Die Warnungen von Kerim helfen dabei nichts, die Begeisterung von Ina ist zu gross. Kerim muss weiter erfahren, das nicht nur Unwissen, sondern auch die Gewalt der Natur sein Paradies zerstören kann. Ein Sturm zerstört fast die ganze Kolonie der ausbrütenden Möwen. Und nicht zuletzt kommt noch die Habgier und Falschheit der Erwachsenen. Kerim muss zuschauen, wie Erwachsene die Eier einsammeln. Sein Protest nützt nichts, die Erwachsenen erklären ihm aus den Eiern eine Medizin zu gewinnen, die Menschen heilen kann. Kerims Grossvater klärt den Jungen auf, dass dies eine Lüge sei. Dem verständnislosen Treiben dieser Erwachsenen setzt Kerim ein Ende, indem er ihnen das Boot für die Rückfahrt versenkt (sie werden am Ende durch den Grossvater gerettet). |
Ein schöner Film, der mich selbst an meine Kindheit erinnern liess, wo auch noch der Westen fähig war, eindrückliche Filme zu drehen, ohne dabei in Kitsch, und in ein Heer von Spezialeffekten und roher Gewalt zu verfallen. ***
Shi Ge Lao Meng (Der Doktorant Meng) Qiang Zhong; China, 2003
Der 38-jährige Jusstudent Meng teilt an der Universität das Zimmer mit dem 25-jährigen Volkwirtschaftsstudent Lei. Das einzige Interesse, das sie teilen, ist der Fussball im Fernsehen. Meng ist der typische mufflige und ‚verstaubte’ Student, der mit 38 Jahren sein Doktorat nicht abgeschlossen hat. Lei ist der dynamischen und lebhaft und möchte Meng etwas mehr Licht in sein Leben bringen. Er und seine Kollegen versuchen ihn mit der Studentin Pearl zu verkuppeln. Doch, da Meng seine Sympathie gegenüber der etwas schüchternen Pearl verbirgt, kommt es nicht zum erhofften Glück; im Gegenteil, Lei und Pearl verlieben sich ineinander, sodass Meng leer ausgeht. Nach dieser Niederlage, packt Meng sein Schicksal selber an: In einem Tanzlokal trifft er Yao, eine zwölf Jahre jüngere Frau, die ihr Leben schon meistert, die nebst tollem Wagen mit Chauffeur auch eine Luxuswohnung besitzt. Yao hilft dem verstocktem Meng auf die Beine. Nach einer Woche Abwesenheit kehrt Meng ins Studentenheim zurück und erzählt seinen Freunden in allen Einzelheiten, wie er mit Yao die Woche verbracht hat. Yao verschafft ihm auch eine Arbeitsstelle, doch als ihn der zukünftige Chef beleidigt hatte, lehnt er die Arbeit ab. Yao besucht Meng nicht mehr im Studentenheim, schreibt ihm aber regelmässig einen Liebesbrief mit dem jeweiligen Schluss, dass sie ihn nächste Wochen sehen wird. Da Yao sich nicht blicken lässt, fühlt sich Meng hinters Licht geführt. In den schlaflosen Nächten muss Meng zuhören, wie Lei im Traum sich über ihn lächerlich macht. Ein Kollege schlägt Meng vor, Yao in ihrer Wohnung zu besuchen, er, Meng habe ja den Schlüssel. Diesen Rat befolgt Meng, was er aber in Yoas Wohnung antrifft, bricht ihn komplett: Yao liegt mit ihrem Chauffeur im Bett. Verletzt kehrt er ins Studentenheim zurück, wo er seinen schlafenden Zimmergenossen Lei mit dem Fernsehen erschlägt. Die vom Krach aufgeschreckten Zimmermachbaren brechen Mengs Tür auf. Meng sieht nur noch eine Lösung aus dieser Situation zu entkommen: Er stürzt sich über den Balkon in die Tiefe.
Der Film wurde auf DVD gedreht mit einer
überraschenden guten Bildqualität. Die Darsteller sind Studenten
(Laienschauspieler) von der Universität, wo der Film gedreht wurde. Das verleiht
dem Film eine gewisse Spontaneität und Frische.
Als Ganzes hat mich der Film überzeugt. Eine
Komödie, die unerwartet tragisch endet. ***
Ogu (Eine vergnügliche Trauerfeier) Yoon-taek Lee; Südkorea 2003
Die alte Hwang begegnet im Traum ihrem verstorbenen Mann. Vom Dorf-Schamane wird dies als baldiger Tod interpretiert. Drei Engel, in menschlicher Gestalt, sind auch schon im Dorf eingetroffen um Hwang abzuholen. Die Hwang will, dass ihre Trauerfeier im Kut Ritus abgehalten wird, ein Ritus, der den Verstorbenen ins Paradies begleitet wird. Der Ritus ist aber seit längerer Zeit in verboten. Desto trotz wird der Ritus wunschgemäss abgehalten. Der Schamane ruft seine Töchter zusammen, die ihrem Vater helfen. Auch der Verwalter des Dorfes lenkt am Ende ein und erlaubt den Kut.
Ein aussergewöhnlicher Film. Er ist
nicht tiefschürfend, die Geschichte hat aber eine interessante Komplexität.
Ausser den oben geschilderten Teil, der den Zuschauer als roten Faden durch den
Film führt, spielen sich weitere parallele Geschichten im Film ab. Der Film ist
ein Wechselbad von Trauer und Humor. Der Regisseur präsentierte den Film als
eine Komödie, die auf einem Theaterstück basiert, das seit zehn Jahren mit
grossem Erfolg in Südkorea gespielt wird. Die Kostüme der Schauspieler sind ein
Feuerwerk von Farben. Musik und Gesänge begleiten den Film.
Ein Film, der auch in die Kinosäle Europas
kommen sollte! ****
Zikir, Chamil Djaparov; Kirgistan, 2003
Der Schamane ist in vielen Kulturen ist
die letzte Hoffung Erkrankter, bei denen die Schulmedizin keine Hilfe mehr
bietet. Mit eindrucksvollen Bildern und in wenigen Worten zeigt der Film die
Arbeit eines Schamanen in Kirgistan. Wie Gemälde in einer Galerie, untermalt mit
Musik, reihen sich die Bilder aneinander. Der Film wurde als Dokumentarfilm am
Festival präsentiert, doch hatte ich das Gefühl, dass dieser Film eher ein
Kunstwerk ist.
Ein ungewöhnlicher Film und umwerfend schön!
****
Und
das waren die Gewinner
«Dias de Santiago» gewinnt beinahe alle Preise.
Ein Spezialpreis geht nach Argentinien, einer nach
Südkorea, eine spezielle Erwähnung nach Zürich.
Der Regard d’Or der 18. Ausgabe des Freiburger
Internationalen Filmfestivals wird heute Sonntag dem peruanischen Regisseur
Josué Mendez für seinen Film «Dias de Santiago»
verliehen. Die internationale Jury, präsidiert vom argentinischen Regisseur
Eliseo Subiela, fällt den Entscheid einstimmig aufgrund der «Wertschätzung der
handwerklichen Qualität dieses Erstlings-Werkes des Regisseurs, und aufgrund der
herausragenden Leistung des Hauptdarstellers (Pietro Sibille)». Diese Meinung
teilten weitere Jurys, und so gehen auch der E-CHANGER-Preis der Jugendjury, der
Preis der ökumenischen Jury und der FIPRESCI-Preis an denselben Film.
Festivaltext:
Santiago Roman, ein 23-jähriger Soldat, kehrt nach Lima zurück, nachdem er viele
Jahre mit Kämpfen gegen Ecuador und in seinem Land mit der Bekämpfung von Terror
und Drogenhandel verbracht hat. Er verkörpert eine verlorene Generation, die den
Preis für die Unverantwortlichkeit der Regierung zahlen muss. Von seinen
Kriegserinnerungen gequält, führt er einen neuen Kampf, in dem es darum geht,
seinen Platz im Zivilleben und in einem zugleich feindlichen und gleichgültigen
Lima zu finden.
Eine Reise durch die komplexen und düsteren Mäander des Krieges mit seinem
teuflischen Kreislauf der Gewalt, der kein Ende zu nehmen scheint. Indem der
Regisseur zwischen schwarzweißen und farbigen Szenen wechselt, gelingt es ihm,
den Realismus des Films und seine von Verzweiflung und Frustration geprägte
Stimmung weiter zu verstärken und ein ungeschminktes Bild vom Leben in Lima zu
entwerfen. Santiagos Verwirrung und die Weise, in der sein heutiges Leben durch
die Ausbildung in der Armee bedingt ist, wird uns anschaulich vor Augen geführt:
Er ist unfähig, ins Zivilleben zurückzukehren. Der Film über seine Verbitterung,
Frustration und seelischen Nöte ist jedoch zugleich eine bewegende Hommage an
das Leben.
Die internationale Jury vergab einen Spezialpreis an den argentinischen Film
«La Mecha» von Raul Perrone. Die FICC-Jury
entschied sich für «Alf Chahr» des Marokkaners Faouzi Bensaïdi. Der
Publikumspreis geht an «Cunetos de la guerra
saharaui» des Spaniers Pedro Perez Rosado.
Der Preis für den besten Dokumentarfilm in der Höhe von 6'000 Franken, vergeben
durch die Zeitung „La Liberté“ und Télévision Suisse Romande TSR, geht an
«Nodongjada Anida» der südkoreanischen
Regisseurin Kim Mi-re. Die Jury, präsidiert von Eliane Ballif, begründet diesen
Entscheid im «Durchhaltewillen und dem seltenen Mut der jungen Autorin,
eingehend und tiefschürfend einem Sozialkonflikt in ihrem Heimatland
nachgespürt, und gleichfalls die Härte dieses Konflikts aufgezeigt zu haben». Im
weiteren vergibt diese Jury eine Spezialnennung an den Zürcher Filmer Thomas
Thümena für sein Werk «Ma famille africaine»,
welcher mit diesem Werk alle «vorherrschenden Denkmuster und
Sprachschwierigkeiten pulverisiert.»
Download im Original
http://www.fiff.ch/docpresse/schlusskommall.doc
http://www.fiff.ch/docpresse/palmaresresume.pdf (Kurzfassung)