Von der Berlinale 2004 berichtet
für den FKC Walter Gasperi

 


   weitere Berichte von Walter Gasperi erscheinen in der März-Ausgabe der Zeitschrift Kultur

Wer vom Fernsehsessel aus die Berichte  über die Berlinale sich ansah (arte widmete ja jeden Tag seinen Termin 20.15-20.45 dafür, auch ARD Festival auf Digitalsatellit war recht eifrig) hörte von wenigen Filmen viel. "Monster" wurde da, fast schon gewaltverherrlichend, hochgelobt, aber auch der Siegerfilm  "Gegen die Wand" und "Mucksmäuschenstill".
 



 

Ostasiatisches, Lateinamerikanisches und zwei deutsche Filme

 

Forum, Panorama, German Cinema und zwei Wettbewerbsfilme der 54. Berlinale

 

Nicht alles ist Gold, was auf einem Festival gezeigt wird, doch Perlen lassen sich immer wieder entdecken: Kleine beglückende Filme, teils verspielt, teils melancholisch, aber immer persönlich und entstanden aus unbändiger Lust am Filmemachen.

 

Am vielfältigsten scheint gegenwärtig in Ostasien das thailändische Kino zu sein. Vom schrillen Actionfilm bis zur leisen Komödie wird hier alles geboten. Völlig überdreht - der Titel lässt nichts Anderes erwarten - ist  Apichatpong Weerasethakuls "The Adventure of Iron Pussy". Die Bilder sind unscharf, die Handlung um die ihr Geschlecht immer wieder wechselnde Agentin Iron Pussy haarsträubend. Nichts ist ernst zu nehmen in diesem Film, hemmungslos persifliert werden James Bond, Lara Croft, Inspektor Clouseau und Indiana Jones. Doch gerade in dieser Hemmungs- und Ungeniertheit des Kopierens und Persiflierens entwickelt dieser wunderbar selbstironische Film, in dem Kickbox-Szenen in Gesangsnummern übergehen und schwarzweiße Rückblenden mit grellen Farbszenen wechseln, einen Charme, dem man sich kaum entziehen kann.

Diesen gewinnt Nonzee Nimiburs "Okay Baytong" wiederum durch die genaue Beobachtung und liebevolle Zeichnung der Figuren. Unmöglich ist es den 27jährigen buddhistischen Mönch Tum nicht nach wenigen Sekunden ins Herz zu schließen und an seiner Reise aus dem einfachen Kloster in die moderne thailändische Stadt Baytong emotional teilzunehmen. Dort soll er sich um die Tochter seiner bei einem Attentat moslemischer Fundamentalisten getöteten Schwester kümmern. Tum lernt in dieser warmherzigen Komödie die Auswirkungen von Alkohol, die Gefahren, die der Reißverschluß einer Hose für einen Mann darstellen kann, Videospiele, den Umgang mit einem Handy und die erregende Ausstrahlung von Frauen auf Männer kennen.

Auf das übermäßige Ausspielen von Gags wird wohltuend verzichtet, manches wird nur über die Tonkulisse eingespielt und ohne je in einen belehrenden Ton anzuschlagen, plädiert Nimibur ganz sanft für die konstruktive Nutzung und Eingliederung traditioneller Werte in die moderne Gesellschaft.

 

Hybride Genre-Filme scheinen in Japan en vogue zu sein. Sabu ("Monday") präsentierte mit "Hard Luck Hero" eine wilde Mischung aus Slapstick-Komödie, Action- und Gangsterfilm. An einen Boxkampf, der aus drei Perspektiven erzählt wird, schließt sich eine - allerdings doch zu lange - Verfolgungsjagd per Auto an, in der nicht nur die Akteure, sondern auch der Zuschauer den Überblick zu verlieren droht.
 

Geradliniger und abgesehen von den zahlreichen überraschenden Wendungen am Schluss auch klarer ist Takashi Miikes ("Audition") neuer Film. Tage vor dem entsprechenden Zeitpunkt trifft in "One Missed Call" bei mehreren Jugendlichen via Handy die Nachricht von ihrem bevorstehenden Tod ein. Nach mehreren Todesfällen beginnt eine fieberhafte Suche nach dem Täter. Auf Gewaltexzesse wie in seinen letzten Filmen verzichtet der japanische Schnellfilmer in seinem neuen von US-Filmen wie "Jeepers Creepers" oder "Final Destination" inspirierten Werk und erzeugt stattdessen mit subtilen Mitteln wie Kameraarbeit und Tonkulisse große Spannung. Ironie und Medienkritik kommen nicht zu kurz, wenn eine Todeskandidatin in eine TV-Show gezerrt wird, und auch als Reflexion über Vorherbestimmung oder das Verhältnis von Realität und Traum kann dieser virtuose kleine Thriller gelesen werden.

 

Dem Chinesen Zhu Wen wiederum gelang mit "South of the Clouds" ein wunderbar unaufgeregter ebenso einfacher wie bewegender Film. Gegen den Willen seiner Kinder bricht der alte Xu Daquin aus der unter einer Smogglocke liegenden chinesischen Großstadt auf nach Yunnan, einer Region in der Nähe von Tibet. Dort hätte er einst als junger Mann eine Arbeit antreten sollen, doch die Liebe zu einem Mädchen hat Xu in den trostlosen Norden verschlagen und geblieben sind nur die Träume von diesem malerischen Land im Süden. - Ein kleines von sanfter Melancholie durchzogenes Meisterwerk ist Zhu Wen hier gelungen.

 

Ganz andere Wege schlägt der Argentinier Daniel Burman in "El Abrazo Partido" ("Verlorene Umarmung") ein, der im Wettbewerb gezeigt wurde. Direkt hinein in ein ziemlich heruntergekommenes Shoppingcenter von Buenos Aires, das die Welt für den etwa 25jährigen Ariel darstellt, führen die wackelige Handkamera und Ariels Kommentare den Zuschauer. Ganz aus der Perspektive der Hauptfigur erzählt Burman, lässt diesen die teils skurrilen Bewohner dieses Viertels vorstellen und schildert mit großer Empathie Ariels Suche nach seinem Vater, der unmittelbar nach dessen Geburt nach Israel verschwunden ist. - Viel Glück gibt’s im Grunde nicht, doch trotz aller Tristesse verbreitet Burmans Film dank viel Wortwitz und menschlicher Wärme statt Hoffnungslosigkeit das Gefühl, dass das Leben trotzdem schön ist.
Der Film errang den Großen Preis der Jury - Silbernen Bären.


 

Unter den sozialen Bedingungen leidet auch die Hauptfigur in Joshua Marstons "Maria, Llena eres de Garcia" (Maria voll der Gnade"). Der Job in einer Blumenplantage in Kolumbien ist alles andere als beglückend und auch die Zukunftsaussichten für die 17jährige schwangere Maria sind nicht vielversprechend. Ändern könnte sich freilich alles durch die lukrative Arbeit als Drogenkurier: Mit 62 Heroinpäckchen im Magen fliegt Maria schließlich in die USA.
Catalina Sandino Moreno erhielt den Silberner Bär für die beste Darstellerin


ebenso erhielt er den Alfred-Bauer-Preis, in Erinnerung an den Gründer des Festivals, für den besten Erstlingsfilm

 

Großes Kino ist das kaum, aber angenehm überrascht Marstons Debüt dennoch durch den Verzicht auf Emotionalisierung und die sachliche, unspektakuläre und teilweise fast dokumentarische Erzählweise.


All diese Tugenden vermissen lässt "Contra Todos" ("Gegen Alle") des Brasilianers Roberto Moreira. Der Einsatz der Handkamera soll dieser Schilderung einer dysfunktionalen Familie in Sao Paolo Authentizität verleihen, doch die Geschichte ist zu abstrus und scheint nur Anlass zur exhibitionischen Inszenierung spekulativer Sex- und Gewaltszenen.

 

Wie Filme aus der Zurückhaltung im Einsatz der Mittel Kraft gewinnen können, zeigt Michael Schorr in "Schultze gets the Blues". In Frühpension werden die sächsischen Bergarbeiter Schultze - einen Vornamen scheint er nicht zu haben - und seine zwei Freunde geschickt. Sein Leben plätschert dahin, ein Mitläufer der teilnahmslos seine Freunde beim Angeln oder Schach Spielen begleitet, der seine Mutter im Altersheim besucht und im Musikverein auf dem Akkordeon die Polka spielt. Doch eines Tages sucht Schultze am Radio - und diese Szene allein ist schon mehr wert als die meisten anderen Filme - den richtigen Sender und stößt auf Blues-Musik. Verwandelt ist der Mann, der seinen schwarzen Hut nie abnimmt, ihn aber immer zum Grüßen - ganz Gentleman der alten Schule - kurz hebt. Der Blues gibt Schultzes Leben im Alter noch eine Wendung und er bricht sogar in den Süden der USA auf.

Es ist Schorrs lakonischer Erzählton, der von der ersten Einstellung an gefangen nimmt. Die Kamera wird kaum bewegt, nach 45 Minuten gibt’s den ersten Schwenk, statt in Großaufnahmen wird aus der Distanz erzählt. Viel Worte sind hier nicht nötig, "Schultze ..." lebt ganz von der genauen detailreichen Schilderung des Alltags und einem überragenden Hauptdarsteller (Horst Krause). Gering wiegt angesichts dieser Qualitäten, dass am Ende bei Schultzes Amerikareise die Lust am hastigen Erzählen die Genauigkeit des Beginns verdrängt und das forcierte Tempo dem Zuschauer keine Zeit mehr zum Schauen lässt.
 

So zeitenlos Schorrs "Schultze..." ist, so zeitgebunden ist Marcus Mittermeiers "Muxmäuschenstill". Im Stil eines gefälschten Dokumentarfilms mit Inserts zu Zeit und Ort der Ereignisse und gefilmt mit DV-Kamera erzählt Mittermeier von Mux und seinen Aktionen zur Schaffung von Ordnung. Unterstützt von einem Langzeitarbeitslosen, der Mux Taten auf Video festhält, greift Mux in einer Gesellschaft, die seiner Meinung nach ihre Ideale verloren hat zur Selbsthilfe: Autoraser werden ebenso gefasst wie Kaufhausdiebe, Schwarzfahrer, Exhibitionisten und Männer, die ins Schwimmbad pinkeln. Sprayer werden selbst besprüht, Leute, deren Hunde die Gehsteige verunreinigen, werden gezwungen den Kot zu essen.

Hervorragend besetzt sind die Hauptrollen (Jan Henrik Stahlberg, Fritz Roth), an Einfallsreichtum mangelt es ebenso wenig wie an Tempo, doch darin liegen auch die Schwächen dieses Films. Statt zu differenzieren und fragwürdiges Verhalten zu hinterfragen, rauscht "Muxmäuschenstill" pointengierig dahin und bietet statt kritischer Analyse trendige Unterhaltung.

 

 


 

 Der Goldene Bär ging an GEGEN DIE WAND von Fatih Akin

alle Preise - Berlinale Homepage
 




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