Zwar wurde ihm bei der Ankunft nicht der rote Teppich ausgerollt, aber es schien, als ob der abtretende Marco Müller ein ernstes Wort mit dem Wettergott gesprochen habe. Denn nach einer längeren Schlechtwetterperiode im Tessin war es während der Anwesenheit des FKCs warm und sonnig, so daß die geplanten Filme auf der Piazza Grande ohne Probleme gesichtet werden konnten.
Wie man es schon durch die Presse und den FKC-Newsletter erfahren konnte, lag dieses Festival im Zeichen der Trauer: Giuseppe Buffi, der erstmals als Präsident dieser Ausgabe des Festivals hätte walten sollen, ist wenige Tage vor dem Festival bei einem Autounfall am 20. Juli ums Leben gekommen. Als Zeichen der Trauer wurde auf das Mitternachtsessen (Cena di Mezzanotte) und auf eine Abschlussfeier verzichtet.
Marco Müller kündigte es am letzten
Tag des Festivals offiziell an: Er wird als Direktor des Festivals zurücktreten
um seine Zeit mehr als Filmregisseur und -produzent widmen zu können.
Während acht Jahren hatte er das Festival geleitet. Aus der Sicht
des FKCs (Urs), hatte er wohl Neues gebracht, aber dabei keine Risikofreudigkeit
gezeigt und sich eher den Wünschen des Massenpublikums ausgerichtet,
vor allem was die großen Filme (auf der Piazza Grande) betrifft.
Es braucht schon einen gewaltigen cineastischen Tiefflug um große
US-Kommerzfilme, wie z.B. MiB (Man in Black, so geschehen vor etwa zwei
Jahren) oder dieses Jahr X-Man, als Eröffnungsfilm zu zeigen.
Wir vom FKC trauerten immer der "guten alten Zeit"
von David Streiff nach, vor allem, weil er immer wieder Filme aus Lateinamerika
nach Locarno brachte; nun müssen wir bis nach San Sebastian, Huelva
oder gar Havanna reisen, um solche zu sehen.
Es bleibt zu hoffen, daß der zukünftige
Direktor in diesem Punkt etwas mehr Feingefühl zeigen und sich weniger
den Wünschen der US-Majors beugen wird. Trotzdem wünscht der
FKC Marco Müller alles Gute und viel Erfolg für seine Pläne.
Zum erstenmal in der ganzen Festivalgeschichte wurde
ein Video Kino eingerichtet: das Video Sony in Muralto, einen Katzensprung
von der Piazza Grande entfernt (ca. 1km). Ich habe in diesem Kino zwei
Video gesehen und war über die Bild- und Tonqualität überrascht.
Es ist klar, dass die Bildqualität (immer noch) schlechter als die
eines klassischen Filmes ist, aber verglichen mit VHS im Heimgebrauch ist
sie doch um einige Größenordnungen besser.
Der chinesische Film 'Baba', wurde von der Jury des 53. Festival zum besten Film gewählt. Leider habe ich den Film nicht gesehen und im Katalog ist keine Beschreibung zu finden. Nur so viel: Baba ist schon 1998 fertiggestellt worden. Die chinesischer Regierung verbot aber seine Aufführung in den Kinos.
Time with Nyenne;
Oliver Beguin; GB/CH, Kurzfilm
(gezeigt in der Reihe "Leoparden von Morgen")
Olivier Beguin zeigt in seinem Kurzfilm eine zweigeteilte Gesellschaft: die Kranken, die draußen und die Gesunden, die drinnen bleiben müssen. Das Mädchen Nyenne ist eine, die draußen bleiben muß. Ihr Freund hat eine Bekanntschaft, jemand der drinnen bleiben muß, der ihn aber für die Mahlzeiten hereinläßt. Dieser Bekannte lädt Nyenne durch ihren Freund zu den Mahlzeiten. Während den Mahlzeiten und einer Party, die vom Bekannten veranstaltet wird, erfährt Nyenne mehr als ihr Freund weiß. Die Wahrheit scheint schrecklich zu sein, so daß Nyenne ihren Freund, zu seinem Schutz, zum Aufbrechen ihrer Beziehung zwingt. Sie jagt ihn fort. Auch der Zuschauer erfährt die Wahrheit nicht.
Olivier Beguin ist Schweizer. Obwohl er in England
diplomiert hatte, und der Film an der Südküste Englands gedreht
wurde, drücken die Schweizer Filmkennzeichen durch: lange statische
Aufnahmen, Dialog auf ein Minimum beschränkt und eine sich langsam
entwickelnde Geschichte.
Der Film dauerte eine Stunde und vierzig Minuten
und wurde auf der Piazza Grande gezeigt. Mir schien diese Zeit in den unbequemen
Stühlen unendlich lang. Der Film hat kein Leben, die Figuren keine
Aussagekraft. Eine gewisse Ruhe ist im Film zu spüren, aber im Vergleich
zu den japanischen Filmen, fehlt diesem asiatischen Film eine Unterschwelligkeit.
*** Drei FKC–Sternchen (max. 5).
Ich konnte mich für den Film nicht begeistern. Die Geschichte schien
mir etwas zu flau und einfach: Raufereien, endlose Streitgespräche
und vor allem eine unglaubwürdige Vergewaltigungsszene: die Vergewaltigte
war am folgenden Tag frisch und munter und verliebte sich in einen der
Übeltäter. Ich hatte auch Mühe den Inhalt der Geschichte
zu folgen. Die Schauspieler gaben aber ihr bestes, es schien als ob sie
ihre eigene Lebensgeschichte erzählten. ***
Der Film erhielt eine "besondere Erwähnung" der Int. Jury
Sophie und Elisabeth lernen sich in einem Bastelgeschäft
kenne. Elisabeth kauft einige Quadratmeter Plastik um damit die geerbten
Möbelstücke im Keller vor dem Verfaulen zu schützen. Leider
trifft sie in diesem Geschäft einen Bekannten, der ihr von ihrem Vorhaben
abrät, denn das Holz brauche Luft zum Atmen und gebe Feuchtigkeit
ab. Daher, in Plastik eingewickelte Möbelstücke führten
zum Totalverlust. Der Verkäufer rät Elisabeth den Plastik an
eine andere anwesende Käuferin, Sophie, zu verkaufen, da er den Kauf
nicht mehr rückgängig machen könne. Elisabeth und Sophie
lernen sich dabei kennen. Durch Elisabeth erfährt Sophie, daß
man Möbelstücke nicht in Plastik einwickeln darf, was Sophie
zum Ausrasten bringt, denn bei ihr zu Hause im Keller liegen seit einigen
Jahren in Plastik eingewickelte Möbel. Gott sei Dank ist der beste
Freund ihres Mannes Möbeldesigner. Sophie verspricht Elisabeth beim
Freund ihres Mannes Ratschläge über Möbellagerung einzuholen
und sie darüber zu informieren. Sie tauschen sich die Telephonnummern
aus. Eine enge Freundschaft entwickelt sich zwischen ihnen während
des Films, nicht ohne Einwände ihres Mannes, der sehr rasch der unangenehmen
Neigungen Elisabeths bewußt wird......
Der Film besteht eigentlich aus vielen kleinen und
'banalen' Episoden, die originell und schrill in einem sehr schnellen Rhythmus
gezeigt werden. Der Film wirkt daher sehr lebhaft und kurzweilig. Es ist
kein Film der großen Tiefe, aber ein Film mit sehr großem Unterhaltungswert.
****
Die Personen, die im Film auftauchen, sind reelle
Bewohner dieses Stadtviertels, die von ihrem Leben vor laufender Kamera
erzählen. Auf eine eindrückliche Weise dokumentiert der Film,
in welcher Hoffnungslosigkeit sie leben, und daß es eigentlich für
sie kein Entrinnen gibt. Es ist schade, daß der Film nur mit einer
kleinen Digitalkamera gedreht wurde (schlechte Farbentiefe). Die
Begründung, daß die Personen sich freier fühlen, da sie
eine kleine Kamera eher ignorieren als ein Arsenal von Scheinwerfern und
einer großen Kamera ist wohl berechtigt. Gut, daß darauf geachtet
wurde die Kamera stabil zu führen um ein Verwackeln der Aufnahmen
zu verhindern. Die zweieinhalb Stunden Filmdauer wirken weniger ermüdend.
Trotzdem, hätte eine kurze Pause während der Aufführung
gut getan. ****
Der Film erhielt eine "besondere Erwähnung"
der Int. Jury für die Suche nach der Erweiterung der filmischen Ausdrucksmöglichkeiten.
Die Bewohner des Altersheim sind alles andere als alltäglich: unter anderem ein Börsenmakler, der unaufhörlich über Internet mit Aktien handelt, der ehemaliger Kabarettist Max, der, trotz Rauchverbot, sich auf dem Zimmer immer einen Joint gönnt und Bissinger, der einfache Schweizerbürger. Ronis Mutter stirbt im Bett von Max. Laut Meinung Bissingers 'hat er sie zu Tode gevögelt', womit er mit dieser Aussage seine Eifersucht auf Max gestanden hat. Für Max hat das Leben ein ungnädiges Ende. Beim Rauchen eines Joints setzt er sein Zimmer in Brand. Ein Rettungsversuch endet tödlich. Im Rausch springt er neben das Sprungtuch, welches die Feuerwehr für ihn aufhält.
Das Gebäude soll nun an eine Gesellschaft verkauft werden, die auf diesem Grundstück eine Garage errichten möchte. Die Bewohner im Altersheim sind empört und bitten den Börsenmakler um Hilfe. Der schafft es, übers Internet, die Aktienmehrheit der Immobiliengesellschaft zu erwerben und kann dadurch den Verkauf des Gebäudes verhindern.
Ein witziger Film von Markus Imboden. Aber wie bei
manchen Schweizerfilmen (z.B. Beresina), muß man Schweizer sein oder
die Gepflogenheiten des Landes gut kennen um die Feinheiten zu verstehen.
Es ist daher kaum zu glauben, dass dieser Film, obwohl in der Schweiz sehr
erfolgreich, im Ausland Anklang finden wird. ****
Die Gruppe verbringt ihre Wartezeit in der Wartehalle
und in einem Restaurant bei einem Abendessen gestiftet von der Fluggesellschaft.
Die Wartezeit ist die Zeit des sich Kennenlernens.
Gesprochen wird, es ist klar, über Frauen, über Liebe, Sex und
Frust. Der Mann eines akademischen Ehepaares aus der ehemaligen DDR lernt
eine anders Seite des Lebens kennen. Er wird von Walter, der mit einer
viel jüngeren und auch hübschen Philippina wegen eines Todesfalles
nach Deutschland fliegt, in die nächsten Ferien eingeladen; alles
inklusive selbstverständlich, dazu gehört auch eine Philippina
die unwiderstehlich ist und Sex und Liebe nicht durcheinander bringt. Seine
Frau spürt, daß in ihrem Leben wahrscheinlich eine andere Zeit
anbrechen wird, und daß sie gegen die jungen Frauen aus den Philippinen
keine Chance hat.
Ich ging mit gemischten Gefühlen in diesen
Film, muß aber sagen sehr angenehm überrascht gewesen zu sein.
Der Regisseur hat einen eindrücklichen und teils humorvollen Film
über den 'normalen' deutschen Tourist und den sogenannten "deutschen
Sextourist" gedreht. Aufgrund dessen, was ich von Kollegen erfahren habe,
die mit einer Philippina verheiratet sind, scheint der Film sehr ehrlich
zu sein: es wird nichts verschönert oder verschlechtert und die Dinge
werden beim Namen genannt.
Ein guter Film, der eigentlich nur in drei Räumen
spielt (Wartehalle, Restaurant und Toilette des Flughafens). ****.
Dieser Streifen hat auch der Int. Jury gefallen
zu haben, er erhielt den Silbernen Leopard.
SILBERNER LEOPARD,
Zweiter Preis der Stadt Locarno , (20'000 Fr. aufgeteilt auf Regisseur
und Produzent) für einen Film des Wettbewerbs "Neuer Film":
XILU XIANG (LITTLE CHEUNG)
von Fruit Chan (Hong Kong)
SILBERNER LEOPARD,
Zweiter Preis der Stadt Locarno, (20'000 Fr., aufgeteilt auf Regisseur
und Produzent) für einen Film des Wettbewerbs "Junger Film"
MANILA von Romuald
Karmakar (Deutschland)
BRONZENER LEOPARD verliehen an SABINE TIMOTEO, Schauspielerin des Films L´AMOUR, L´ARGENT, L´AMOUR von Philip Gröning (Deutschland)
BRONZENER LEOPARD
verliehen an das ganze Ensemble des Films
DER ÜBERFALL von Florian Flicker (Österreich)
BESONDERE ERWÄHNUNGEN
DER JURY FÜR
BRONX-BARBES
von Eliane de Latour (Frankreich). Für die Fähigkeit die
Lebenswut einer jungen Generation darzustellen, auf einer ihr feindlich
gesinnten Welt.
NO QUARTO DA VANDA von Pedro Costa (Portugal). Für die Suche nach der Erweiterung der filmischen Ausdrucksmöglichkeiten.