Exclusiv-Bericht aus Berlin von Mag. Walter Gasperi
für den FKC:
Neue deutsche und asiatische Filme bei der 56. Berlinale
Neue Meisterwerke der Filmkunst gab es bei
der 56. Berlinale kaum zu entdecken. Für die fehlenden Spitzenleistungen
entschädigte aber zumindest teilweise die große Bandbreite an Themen und
Formen.
Gewohnt stark
vertreten war in Berlin das deutsche Kino. Neben vier Filmen im Wettbewerb
(vgl. www.kultur-online.net) gab es
auch in den Programmschienen des „Panoramas“ und „Forums des Jungen Films“ Einiges
zu entdecken. Dominik Graf erzählt in „Der rote Kakadu“ warmherzig und mit viel Schwung
eine Dresdener Jugend- und Dreiecksgeschichte, die unmittelbar vor dem Mauerbau
im Sommer 1961 situiert ist. Noch träumen Siggi, Wolle und Luise von einer
anderen Gesellschaft, doch Schritt für Schritt lässt Graf ihre Utopien
zerbröckeln. Werden zuerst von der Volkspolizei nur Platten mit westlicher
Rockmusik zerstört, werden später auch Spitzel eingesetzt, Jugendliche vor
Gericht gezerrt und auch vor dem Einsatz von Schusswaffen schreckt der Staat
nicht mehr zurück. Gekonnt vermischt Graf die mit Leidenschaft erzählte private
Geschichte mit der öffentlichen und zeichnet so nicht nur ein Bild einer
träumerischen Jugend vor einem Licht durchfluteten Sommer, sondern auch das des
Endes dieser Jugend und der privaten und gesellschaftlichen Träume.
Im Hier und Jetzt
der Großstadt Berlin ist „Komm
näher“ angesiedelt. Parallel erzählt Vanessa Joop drei nur beiläufig
verknüpfte Episoden um drei Frauen. Diese sehnen sich nach Nähe, sind aber
vielfach unfähig ihre Gefühle auszudrücken oder stoßen ihre Partner zurück.
Durch die Nähe der Handkamera, die grobkörnigen Bilder und den unverstellten
frischen Blick auf die Menschen gewinnt der Film nicht nur Echtheit, sondern
auch Wärme. Der rasche Szenenwechsel sorgt zwar für Tempo und Dichte,
gleichzeitig tendiert „Komm näher“ dadurch aber auch zu Kurzatmigkeit, da Joop
statt lange Handlungsbögen aufzubauen und vielschichtige Charaktere zu zeichnen
in ihrem wunderbar in das winterliche Berlin eingebetteten Film mit dynamischem
Schnitt zwischen den ProtagonistInnen und Episoden hin- und herspringt.
Einen ganz
persönlichen Film hat Thomas Arslan mit „Aus der Ferne“ gedreht. Nach zwanzig Jahren ist
der türkischstämmige Deutsche erstmals in die Türkei zurückgekehrt und hat die
Orte seiner Kindheit besucht. Keine tiefschürfende Analyse der Türkei ist so
entstanden, sondern ein Reisefilm, in dem Alltagsbeobachtungen im Mittelpunkt
stehen, die von zurückhaltenden persönlichen Kommentaren des Regisseurs zu
seiner Familie und Kindheit ergänzt werden.
Asiatisches Kino
Von
unterschiedlicher Qualität waren die in Berlin präsentierten asiatischen
Produktionen. Die Chinesen enttäuschen nicht nur mit Chen Kaiges
Fantasy-Spektakel „Wuji –
The Promise“ (vgl. http://www.kultur-online.net/?q=node/14028),
sondern auch mit dem Wettbewerbsfilm „Isabella“. In geschmäcklerischen Bildern und
unterlegt mit einer Musiksauce erzählt Pang Ho-Cheung von einem korrupten
Polizisten, der erfährt, dass er eine Tochter hat. Prätentiös und nicht
einsichtig wirkt dabei auch der Zusammenhang mit der Übergabe Macaos an die
Volksrepublik Chinas, auf die in Inserts immer wieder verwiesen wird.
Dagegen hat Zhang
Yuan in „Little Red
Flowers“ immerhin etwas zu sagen. Die 1949, kurz vor der Ausrufung der
Volksrepublik China angesiedelte Geschichte eines Kindergartenkindes, das gegen
die Leiterinnen mit kleinen Sabotageakten revoltiert, ist zwar vordergründig
ein biederer, aber in genau kadrierten und ausgeleuchteten Bildern inszenierter
Kinderfilm, kann aber durchaus auch politisch gelesen werden.
Die aufregendsten
Filme dieser Berlinale kamen aber aus Japan. Der Schnellfilmer Takashi Miike
legte mit „Big Bang
Juvenile A“ ein Werk vor, das sich jeder Kategorisierung widersetzt.
Obwohl nicht klar ist, wo seine Geschichte von zwei Gefängnisinsassen nur
selbstzweckhafte Spielerei ist und wo hier wirklich erzählt wird, fasziniert
dieser Film durch sein virtuoses Spiel mit unterschiedlichsten Formen, den
Einsatz der Farben und des Lichts, dem Wechsel von Realismus und Stilisierung,
von Tanz und brutaler Gewalt, von lauter Rockmusik und Stille. Ähnlich wildes
Kino wie Miike bot auch Sono Sions Thriller „Strange Circus“. Da wird im Rahmen einer
Varieté-Vorstellung die Geschichte sexuellen Missbrauchs erzählt, die sich im
zweiten Teil in eine Rachestory verwandelt, um am Ende nochmals eine
überraschende Wendung zu nehmen. Im Gegensatz zu den meisten anderen Filmen ist
in denen von Miike und Sion nie die Bahn vorgezeichnet. Nie kann man sich in
diesen Filmen einrichten, ständig wird man aufs Neue überrascht und muss seine
Seh- und Rezeptionsansätze überdenken.
Diesem wilden und
überbordenden Kino steht Funashi Atsushis „Big River“ gegenüber. Zufällig treffen sich in
diesem Roadmovie ein Pakistani mittleren Alters, ein junger Japaner und eine
junge Amerikanerin in der Gegend um das Monument Valley. Einige Tage reist das
Trio miteinander, um sich dann wieder zu trennen. Atsushi presst keine
Geschichte hinein, sondern lässt den Figuren in langen distanzierten
Einstellungen Platz zu agieren, sich näher zu kommen oder auch sich zu
streiten. Die ziellose Reise von Fremden in einem fremden Land – dies und
nichts weiter ist die Handlung des Films - erinnert dabei in ihrer Lakonik an
die frühen Filme von Jim Jarmusch und wie bei diesem Guru des
Independent-Kinos, aber auch wie in den Western von John Ford, auf die die Wahl
des Schauplatzes verweist, korrespondiert bei Atsushi die äußere Bewegung mit einer
inneren. Zu einem Ziel, einem Happy-End muss sein Roadmovie nicht kommen, das
Trio begleitet zu haben reicht völlig aus.
Lakonisch agiert
auch die Hauptfigur in Pen-ek Ratanaruangs „Invisible Waves“. Große Erwartungen hatte der Thai
mit „Last Life in the Universe“ geweckt, die er mit seinem neuen Film, aber
nicht ganz erfüllen kann. Nach dem von seinem Chef befohlenen Mord an seiner
Geliebten flieht Kyoji von Hongkong ins Ferienparadies Phuket. Die Stimmung auf
dem Schiff ist gespenstisch, Schuldgefühle plagen Kyoji, die sich nach Ankunft
in Phuket noch steigern. Gleichzeitig trachten aber auch Killer nach seinem
Leben, sodass er in seine Heimat zurückkehrt. Die Handlung ist aber Nebensache,
„Invisible Waves“ lebt ganz von der Stimmung der in Grüntöne getauchten Bilder
von Starkameramann Christopher Doyle. Nie wird es hier ganz Tag, nie Nacht,
immer herrscht das gleiche diffuse Licht, das zusammen mit dem musikalischen
Leitmotiv eine melancholische, todessehnsüchtige Stimmung aufkommen lässt.
Funktioniert „Invisible Waves“ auf dieser atmosphärischen Ebene vorzüglich, so
gelingt es Pen-ek Ratanarunang nicht die im Titel angedeuteten Schwingungen
unter der Oberfläche zu intensivieren.
Handfestes bietet
dagegen Jafar Panahis „Offside“.
Wie schon in seinem in Venedig vor sechs Jahren preisgekrönten „Der Kreis“ geht
es um die Rolle der Frau im Iran. Eine Gruppe vom Mädchen wird von Soldaten
aufgegriffen, als sie versuchen verbotenerweise das Fußballspiel Iran gegen
Bahrain zu besuchen. Vor dem Stadion entwickelt sich ein Disput, während das
Johlen und Toben der Zuschauer drinnen die Tonkulisse liefert. Beinahe in
Echtzeit und reduziert auf den Ort der Festnahme diskutiert Panahi fast
dokumentarisch mit schwarzem Humor Fragen der Freiheit und Gleichberechtigung
und zeigt, wie durch das Einschreiten des Militärs an sich harmlose Situationen
eskalieren. Bei allen gesellschaftskritischen Akzenten endet der Film nach dem
Sieg und der WM-Qualifikation aber doch patriotisch, denn Soldaten und Frauen
verbrüdern sich und stimmen in den allgemeinen Jubel ein.