Bericht vom 15. Int. Filmfestival Fribourg

www.fiff.ch

ich sah:
Las aventuras de dios (Subiela / AR)
Tônica Dominante (Lina Chamie / BR)
PALO Y HUESO (Sarquís AR 1968)
Os Cafajestes (Ruy Guerra, BR 1961)
Telegram (Slamet Rahardjo Djarot, Indonesien)
Djomeh (Hassan Yektapanah,Iran)



Einleitung / Ambiente:
Anders als in den vorangegangenen Jahren besuchte ich die ersten Stunden und Tage des Festivals. Während in die letzten Jahren bereits die ersten Strahlen der Frühlingssonne wärmten und die Strassencafés öffneten, goß es diesmal in Strömen.
Auch hier - wie in Solothurn - ist der Festivalbesuch teurer geworden. Das Zimmer im Hotel Golden Tulip kostet jetzt 135 sFr statt wie bisher 100,-- (ermäßigter Tarif!).
Ich nahm meinen Laptop mit und konnte deshalb immer taufrisch nach den Filmen meine Eindrücke von den Filmen niederschreiben.

Sonntag, 11.3.01, 18 Uhr. Die Caritas gibt einen Empfang im Festivalzelt. Ein surreales Bild: zwei Musiker spielen das kubanische Lied vom "Commandante Ché Guevara" und vier Nonnen schunkeln mit. Ob die Gottesanbeterinnen revolutionär geworden sind oder Ché schon ein Heiliger ist? [so einen Film gab es vor ein paar Jahren!]. Niemand erwartet, dass die Caritas aus Spendengeldern Kaviar und Sekt auftischt, und so war es denn auch, aber zum Anstossen gab es durchaus was. Relativ wenig Besucher, eine kleine, geschmackvolle Fotoausstellung zur Flüchtlingshilfe.
19.30:


Bereits 45 Min. vor Beginn ist der Saal 1 des Rex voll, die beiden Musiker von vorhin unterhalten nun im Kino mit lateinamerikanischen Liedern und dem Repertoire des "Buena Vista Social Club". Nach über 30 Minuten Eröffnungsreden kommt der Eröffnungsfilm:

LAS AVENTURAS DE DIOS (Die Abenteuer Gottes)
von Eliseo Subiela, Argentina 2000, dolby digital, FAZ 35mm.
Eine Dosis Buñuel. Don Luis wäre am 22.2.2001 übrigens 101 Jahre alt geworden. Die Schweizer Filmzeitung FILM verglich diesen Film mit den Meisterwerken Buñuels, was ist daran wahr?
Die Ingredienzien sind wahrlich die der Surrealisten, doch schockt dies heute nicht mehr: es beginnt im Vorspann mit einem Zitat von Breton (dem Begründer des surrealistischen Manifests), manches erinnert in der Tat an den "Würgeengel" (el angel exterminador), wo eine Gruppen Menschen in einem Raum gefangen sind, ihn wähnen nicht verlassen zu können.
Doch Subiela verläßt immer wieder den weit größeren Raum eines Grand-Hotels am Strand, in dem sich die Koffer türmen und alle auf die Abreise warten, er fährt sein Liebespaar mit einem 50er Jahre-Ami-Cabriolet durch die Landschaft, die Damen zieht es an den Strand, wo es alles Mögliche anschwemmt.
Den Protagonisten zum Beispiel, er bezieht in dem von Dünen fast zugedeckten Hotelpalast ein Zimmer, während alle anderen auf die Abreise warten.
In seinem Sack seine Mutter, die er immer wieder kannibalistisch verspeist, was ihm schwer im Magen liegt, am Schluß verbrennt er sie am Strand und weint.
Ganz zu Beginn eine wirklich surreale Szene: Ein Toter ist aufgebahrt, drei Menschen halten Totenwache. Da beginnt ein Mann und eine Frau sich zu lieben, der Tote fängt darauf an, sich zu masturbieren....
oder ein Mann zu einem Bischof: "ich sterbe aus Langeweile". Der Bischof erwidert: "dann masturbieren Sie, das hilft, ich weiss wovon ich rede":
Religiöse Symbolik immer wieder, ja sogar als Leitthema des Films: Ist unser Leben ein von einem anderen Wesen, gar Gott, erträumtes? Sind wir die Schauspieler eines Träumenden? Ändert sich unser Leben, wenn wir den, der uns erträumt aufwecken (oder gar erschießen, was der Held des Filmes 20 x folgenlos macht) ?
Auch Christus kommt vor, im Casino des Hotels verkündet er, woran die Anwesenden sterben werden, Milchkaffee schlürfend vollbringt er kleine Wunder...
Anspielungen an die frühen Filme Subielas, etwa der magische Spiegel, der Erinnerungen aus einem (anderen?) Leben zeigt...
Doch der Film ist zu philosophisch, um den unbürgerlichen Maximen des Surrealismus zu entsprechen. Ein paar Nonsens-Dialoge, eine nackte Frau und eine verspeiste Mutter schockieren heute niemanden mehr.
Die Musik von Beethoven und Mozart wird leider zu oft wiederholt eingesetzt.
Überraschend aber, wie gut der Videotransfer schon ist und THX-zertifizierter Digitalton ist für einen Low-Budget-Film aus einem verarmten Land ebenfalls eine kleine Sensation.
Der neue Trigon Film ist schön anzusehen, eine kleine Hommage an die Surrealisten auf jeden Fall, aber doch viel zu brav, um deren revolutionäre Größe zu erreichen.
Aber wer glaubt denn noch an so ein Wunder?
***(+1/2*) originell., durchaus mutig, so etwas auf den Markt zu bringen, aber etwas zu brav

Nach dem Film gab es das richtige "Apero", wie die Schweizer zu sagen pflegen. Die Catering-Mannschaft mußte entnervt alles freigeben, denn gierige Finger und durstige Kehlen konnten nicht abwarten, bis ein höheres Wesen den Startschuss gab. Da gab es dann schon Kaviar- und Shrimps Kanapees und sogar Austern....und eine richtige Schlacht ums kalte Buffet...

und natürlich galt wieder: ja nicht deutsch reden*, also schlängelte ich mich spanisch konversierend durch die Reihen und fand durchaus einige GesprächspartnerInnen.
(*Als ich letztes Jahr den Fauxpas beging, auf deutsch nach einer Klassik-CD zu fragen schaute man mich entgeistert kann: wie kann denn ein deutschsprechender Barbar, wohl ein glatzköpfiger Neonazi, so ein Kulturgut verlangen ? Seither stottere ich lieber meine 20 Vokabeln französisch ab oder spreche beharrlich portugiesisch oder spanisch, was ich einigermaßen beherrsche... )

Montag,12.3.01
Die beiden Kassen im Rex öffnen bereits um 9 Uhr. Um 10.30 ist bereits eine lange Warteschlange, die meisten besorgen sich gleich für die nächsten drei Tage eine Menge Karten. Schon sind die ersten Filme ausverkauft oder es werden Zusatzvorstellungen nötig, etwa für "Las Aventuras de Dios".
Vielfältiges Programm:
Wieder gibt es den Wettbewerb, wobei auffällt, das Asien stark vertreten ist. Aber auch aus Kuba kommt ein neues Werk von Daniel Díaz Torres:"Hacerse es sueco"(Bezüglich des Schweden), Brasilien ist mit "Quase nada" vetreten.
Außer Konkurrenz gibt es eine Menge "longs métrages" Spielfilme, etwa "de ida y vuelta" aus Mexiko, den schon beschriebenen neuen Subiela aus Argentinien, die Liebesgeschichte der Feministin "Manuela Sáenz" aus Venezuela, der atemberaubende Klassik-Musikfilm "Tônica Dominante" aus Brasilien.
Begrenzt das Angebot an Kurzfilmen und an Dokumentarfilmen.
Höhepunkt sind sicher wieder eine Retrospektiven.
Die Serie "Lateinamerikanische Filme des Aufbruchs" bieten das Beste der letzten Jahrzehnte, etwa "Barravento" von Glauber Rocha, LosOlvidados von Buñuel, Os Cafajestes von Ruy Guerra, Brasilein 1962, womit das "Novo Cinema Brasiliero" begann.
Eine Reihe "der neue afrikanische Film" rundet das Vielfältige Angebot an.
Trigon kündigt einen Spielfilm über Lumumba (von Belgien ermorderter erster freier Präsident Kongos) an, gemacht von Raul Peck, dem Filmemacher und Kulturminister Haitis, der vor Jahren in Innsbruck anwesend war und "L homme sur le quais" präsentierte. Der Film ist aber auf dem Festival nicht vertreten.


Tônica Dominante (Dominante Tonart)
Lina Chamie, BR 2000, dolby digital
Brasilien ist anders als man denkt. Wenn von einem Musikfilm aus Brasilien gesprochen wird, wer erwartet da das edelste, das schönste, das vollkommenste, was die Musikgeschichte hervorgebracht hat: die klassische Musik ?
Musik u.a.von Cesar Franck, Erik Satie und zur Krönung die "Unvollendete" von Schubert...
Mit wenig Worten ist das Wesentliche gesagt, mit viel Musik und traumhaft schönen Bildern aus Jugendstil-Musikpalästen, den fotogenen Dünen an den Traumstränden Brasiliens und einigen Schwenks über die Megacity von Sao Paulo im Abendrot wird es emotional vermittelt. Dennoch herrscht Spannung: erst ein bewaffneter Überfall auf die Musikschule; dann Spannung in den Beziehungen: ein junger Klarinettist wirft ein Auge auf eine aufstrebende Violinistin; als er ihrer strengen Lehrerin am Klavier das Notenheft umblättern soll und sich beim Recital-Abend vor Publikum verblättert, ist die Katastrophe passiert.
Aber auch er wird besser und revanchiert sich im Orchester durch seinen Part in Schuberts 8.
Leitmotiv ist die griechische Sage des Phonion (?), die erzählt, wie durch das Flötenspiel Berge schmolzen, visualsiert durch das Wandern der riesigen Sandünen.
Aufgebaut ist der Film in drei Sätzen, welche drei Tage im Leben des jungen Klarinettisten widerspiegeln, der erste Tag, die Einsamkeit; der Zweite, der Albtraum und der Dritte, das Wiedererlangen des Seelenfriedens.
Einer der wunderbarsten Klassik-Filme, die ich je gesehen habe!
Es ist erstaunlich und erfreulich, dass der Film hier in Fribourg gespielt wurde; hat er doch nichts mit dem Klischee der Länder des Südens als verarmte und verelendete Sozialmisere zu tun, allerdings muss er für einen armen Arbeiter im Nordosten oder im Sertao wohl eine völlig unbekannte Welt inmitten seines Landes darstellen, die er kaum zu hören und noch weniger zu sehen bekommt. Aber auch das ist Brasilien, die Kunstmetropole Sao Paulo.
***** beschaulich, erbauend, bildend, entspannend

Nach soviel Erbaulichem vertrug ich durchaus etwas härtere Kost und besuchte zwei Filme aus der Serie "Lateinamerika im Aufbruch", die als Meilensteile bezeichnet werden.


PALO Y HUESO (Holz und Knochen)
Argentina 1968, SW, 70 Min, Nicolás Sarquís
Im armen bäuerlichen Mileu spielt der Film, wie im ital. Neorealismus tragen die Arbeiter zerlumpte Kleidung. Drei Personen spielen, streng wie in einer griechischen Tragödie. Der alte Don Arce verhandelt den "Kauf" der schönen, jungen Rosita, die er zu seiner Gattin machen will; sein Sohn aus erster Ehe, Domingo, liebt ebenfalls Rosita und bekommt die Liebe auch erwidert. Es kommt zum Kampf zwischen den beiden Männern.. Rosita und Domigo planen die Flucht aus dem Elend und wollen in die Stadt. Doch die Flucht endet im nächsten Dorf, es regnet in Strömen und der Bus kommt so schnell nicht. Da taucht Don Arce wieder auf und überredet die beiden zur Rückkehr.
Das optische Vergnügen war durch eine viel zu dunkle Kopie leider stark getrübt...
** filmhistorisch interessant.

Os Cafajestes (Der Strand des Begehrens)
Brasilien 1962, SW, 100 Min, Ruy Guerra
Dieser erste Spielfilm Ruy Guerras begründet laut Glauber Rocha das "Novo Cinema Brasiliero". Im Stile der Nouvelle Vague der Franzosen wird aus der Sicht der Kriminellen, ohne jede bürgerliche moralische Bewertung, stilistisch innovativ eine Geschichte erzählt. Ausgedehnte Nacktszenen dürften vor 40 Jahren (!!!) durchaus noch ihre schockierende Wirkung erzielt haben.
Vavá, ein reiche Bankierssohn ist mit seinem Ami-Cabriolet der geborene Playboy, Jandir ein skrupelloser Betrüger und Zuhälter. Sie locken schöne Frauen an, fahren mit ihnen an den Strand, überreden sie dabei nackt zu baden und fotografieren sie dann heimlich oder auch offen, um deren Gatten zu erpressen. Die Schlüsselszene ist, als sie einer schönen Blonden mit ihren Kleidern davonfahren, und als sie völlig erschöpft im Sand zusammenbricht, sie mit dem Chevrolet fotografierenderweise endlos umkreisen. Andere Mädchen wieder werden geschlagen und vergewaltigt und das Opfer von vorhin schaut tatenlos zu. Es geht - im Gegensatz zum Neoralismus - nicht darum die unmoralische Dekadenz der Reichen gegenüber der Armut in Würde zu zeigen, der Film bewertet nicht und erzielt gerade dadurch eine starke Wirkung.
Auch die Musik, durchaus für heutige Ohren noch experimentell ist interessant, der Bossa Nova war dazumals noch nicht auf dem Höhepunkt, aber den "samba-una-nota-só" gab es schon.

*** auch heute noch ein Genuß zum sehen, auch wenn die Kopie einige Schrammen aufweist und der Ton brummt.. vor allem die Zeit, als die riesengroßen Autos noch mehr als genug Platz auf den Straßen und zum Parken hatten, ist unglaublich anzusehen....


TELEGRAM
Slamet Rahardjo Djarot, Indonesien 2000, Farbe, 100 Min.
Der stimmig fotografierte Film erlaubt tiefe Einsichten in die indonesische Gesellschaft von heute, deren ethnische und religiöse Konflikte auch die Fertigstellung dieses Film um vier Jahre verzögerten. Er entstand nach einer Novelle des bekannten balinesischen Schriftstellers Putu Wijaya.
Daku, ein Journalist in den Dreissigern, lebt mit seiner Adoptivtochter in Djakarta. Immer wieder geht er ins Rotlichtmileu, um seine Grundbedürfnisse zu befriedigen, aus ethnischen Gründen kann er jedoch keine der schönen Frauen von dort heiraten. Er erhält ein Telegramm, welches besagt, dass seine Mutter auf Bali im Sterben liege. Er zögert hinzufahren, weil er nicht das Geld hat, die aufwendige traditionelle Sterbezeremonie zu bezahlen. Seine Adoptivtochter, die er sehr liebt, findet heraus, dass er nicht der Vater ist, die leibliche Mutter, inzwischen mit einem Reichen verheiratet, versucht mehrfach sie mit einem eleganten Mercedes abzuwerben bzw. zu entführen. Die Bordellviertel werden abgebrannt und die Kurtisanen bitten vergeblich um Hilfe. Inzwischen kommt das zweite Telegramm, dass Mutter gestorben sei...
*** sehr abwechslunsgreich und vielscichtig, leider blieben mir ob der malaisischen OF mit frz.Ut einige sprachliceh Details verborgen.

Di 13.3.01.
Die Zeit reicht gerade noch für einen neuen iranischen Film und den einzigen Wettbewerbseitrag, den ich sehen kann:



DJOMEH
Hassan Yektapanah, Iran 2000, 94 Min, Farbe, im Verleih der Trigon.
Der Regisseur bezeichnet sich als Schüler des bei uns im Westen bekanntesten Regisseurs, Abbas Kiarostami. Im Gegensatz zu ihm versuchte er, den Film möglichst realistisch zu gestalten. Thema des Films sind einsame Gestalten. Er gewann damit letztes Jahr in Cannes die Camera d´Or für das beste Erstlingswerk.

Djomeh ist ein junger Afghane, der im tiefsten Inneren des Iran in einem milchproduzierenden Hof arbeitet, im Gegenstz zu seinem Vetter Habib versucht er sich zu integrieren und verliebt sich in Setareh, der Tochter des kleinen Krämerladens.
"Wenn man im Bett darauf wartet, einzuschlafen, ist dies ein Moment absoluter Einsamkeit", wird er im Festivalkatalog zitiert.

Für einen iranischen Film fast schon "Action" - der Streifen ist kurzweilig und zeigt genau das Leben auf dem Land um im Dorf.
Die Kinder sind frech, werfen mit Steinen oder blenden mit Spiegeln, klauen dem Ausländer das Fahrrad. Djomeh verliebt sich in die einzige Frau, die er zu sehen bekommt, die Tochter des Krämers. Er kauft bei ihr mehr ein, als er sich eigentlich leisten kann, nur um sie länger sehen zu können oder ihre Aufmerksamkeit zu erregen. Auf den Fahrten ins Dorf, die er mit seinem verständnisvollen Chef macht, finden lange, manchmal auch witzige Dialoge statt. Durch das Fenster zieht die Landschaft vorbei.
Djomeh will eine Frau, und das heisst im Islam natürlich heiraten. Bei ihm zuhause in Afghanistan muss man mit 20 verheiratet sein, sonst gibt es üble Gerüchte. Er bittet seinen Chef, der über 40 und selber noch Junggeselle ist, wenigstens zu fragen. Doch die Folgen sind fatal...
Wieder wird glasklar ein einzinger Gedanke vertreten und vollkommen linear eine einzige kleine Geschichte erzählt, die Bilder sind dokumentarisch genau.
*** stilistisch präzise, aber etwas banal


die Gewinner


Norbert Fink

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